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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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vorbeigetragen würden. Die Schatten verhielten sich zu den Dingen wie die Dinge zu den Ideen, also den abstrakten Urbildern der Dinge. Einige Philosophen könnten sich zwar von ihren Fesseln losreißen und in die Sonne schauen, aber sobald sie bei ihrer Rückkehr von ihren Erlebnissen erzählten, würden die anderen Höhlenmenschen sie verlachen. Aufgabe der Philosophen sei es, die Ideen zu schauen, während die übrigen Menschen blind durch den Alltag taumeln.
    Platon präsentiert uns eine
Analogie
: Schatten verhält sich zu Gegenstand wie Gegenstand zu Idee. Wie viele andere hinkt auch dieser Vergleich: Zum einen ist fraglich, warum man die Analogie nicht beliebig fortführen kann. Vielleicht sind auch die Ideen nur Abbilder von Superideen und die wiederum von Bombenideen. Vor allem bleibt offen, warum wir zusätzlich zur erkennbaren Welt eine zweite Wirklichkeitsebene annehmen sollen. Eine derart weitreichende These muss man gut begründen, aber die Begründung fehlt. Besonders schwierig ist die Überprüfung: Wie können wir sicher sein, dass ein Philosoph die Ideen wirklich erblickt hat? Wie kann er selber sicher sein?
    Platon verwendet eine visuelle Metapher, um seine Theorie des Wissens zu verdeutlichen. Das ist naheliegend, denn die visuelle Wahrnehmung ist unsere dominante Erkenntnisquelle. Das deutsche Wort «Wissen» ist sogar sprachverwandt mit dem lateinischen «videre» für «sehen», von dem «Video» abstammt, sowie mit dem altgriechischen «idein» für «sehen», von dem die «Idee» herrührt. Noch heute sind visuelle Metaphern für das Wissen weit verbreitet. Universitäten haben oft eine Fackel im Emblem oder «Licht» im Leitspruch.
    Noch viele Philosophen nach Platon visualisieren Wissen, unterscheiden dabei aber nicht zwischen den Wahrnehmungseindrücken und den Überzeugungen, die wir durch diese Eindrücke erhalten. Doch nur Überzeugungen können wahr oder falsch sein, Eindrücke nicht. Ein Beispiel: In Hunter S. Thompsons Buch
Fear and Loathing in Las Vegas
schluckt der Protagonist Raoul Duke Meskalin und sieht Fledermäuse neben dem Cabrio fliegen, in dem er mit seinem Anwalt Dr. Gonzo durch die Wüste rast. Er scheint nicht zu glauben, dass wirklich Fledermäuse um ihn herumflattern, sondern weiß vielmehr, dass er halluziniert. An diesem kleinen Unterschied entscheidet sich alles. Meine Eindrücke müssen nicht dazu führen, dass ich annehme, dass dort wirklich das ist, was ich vor Augen habe. Das weiß jeder, der schon einmal an einem heißen Tag eine Luftspiegelung gesehen hat.
    Zwar gelangen wir von unseren Eindrücken fast immer zu unseren wahren Überzeugungen, doch sie sind keine Kandidaten für Wissen, weil sie eben nicht wahr oder falsch sein können. In der deutschen Philosophie war lange Zeit die Rede von «Vorstellungen», bei denen niemand so recht wusste, ob mentale Bilder oder Überzeugungen gemeint sind. Auch Platon zufolge nehmen wir nur die Abbilder der Welt wahr. Spricht man dagegen von Wissen statt von Bildern, bietet sich eine weniger bizarre These an: Die Welt ist, wie sie ist. Wir alle wissen, dass Johannes Gutenberg den Buchdruck erfunden hat und Julius Caesar ein Römer war, ganz gleich, ob wir damit ganz konkrete mentale Bilder verbinden oder gar keine. Was auch immer wir uns vorstellen mögen, unser Wissen bleibt dasselbe.

Könnte alles Täuschung sein?
    Auch Descartes hat sich gefragt, ob die Welt so ist, wie wir sie erleben. «Cogito ergo sum» ist vermutlich der am häufigsten auf T-Shirts gedruckte Ausspruch eines Philosophen und auch der am häufigsten falsch verstandene. «Ich denke, also bin ich» klingt so, als hätte Descartes damit nur sagen wollen, dass die Essenz des Menschseins im Denken bestünde, etwa im Kontrast zu gedankenlosen Tieren. Diese These vertrat er zwar, aber tatsächlich ging es ihm an dieser Stelle um unbezweifelbares Wissen. Besser wäre gewesen, hätte er von Anfang an «dubio ergo sum» gesagt: Ich zweifle, also bin ich.
    Descartes fragt sich, wann wir wirklich sicher sein können, dass wir uns nicht irren. Dazu führte er den sogenannten
radikalen Zweifel
ein. Nehmen wir einmal an, ein höheres Wesen, ein
böser Dämon
, würde uns die ganze Welt nur vorgaukeln. Alles, was wir sähen und hörten, wäre in Wirklichkeit eine Illusion. Alles, was wir über die Welt zu wissen glaubten, in Wirklichkeit ein Irrtum.
    Weil Descartes zufolge ein solcher Täuscher denkbar ist, kann ich an allem zweifeln – mit einer Ausnahme:

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