Follower - Die Geschichte einer Stalkerin
Hände.
„Ja?“, hörte Patricia Attilas verschlafene Stimme im Hörer. „Ich hab heut frei, Leute. Ich komme später zum Fangruppen-Ausweichen …“
„Nein! Attila, Notfall! Das ist ein Notfall! Du musst den Zweitschlüssel von Kiran nehmen und zu seiner Wohnung fahren. Wir glauben, dass ihm was passiert sein könnte. Er ist nicht ans Set gekommen und gestern hat er mich versetzt, obwohl wir fest verabredet waren.“
„Ihr wart verabredet?“, unterbrach Attila sie.
„Zuhören!“, sagte Patricia streng. „Er könnte in seiner Wohnung gestürzt sein oder sonst was. Du weißt, wie er ist. Er kommt immer zur Arbeit, auch wenn er krank ist. Da stimmt was nicht!“
„Und woher weißt du, dass da was nicht stimmt? Vielleicht hat er nur verpennt. Ich verpenne oft.“
„Ich weiß es, okay? Bitte fahr hin.“
„Woher willst du das denn wissen?“, wiederholte Attila gähnend.
… ich wollte deine weibliche Intuition ausnutzen …
„Weibliche Intuition. Ruf mich an, wenn du bei ihm an der Tür stehst.“
Kiran lag wieder bewusstlos auf dem Bett und Daniela ließ sich erschöpft auf die Bettkante sinken. Die narkotisierende Wirkung der K.O.-Tropfen hatte diesmal schneller eingesetzt. Kiran hatte seit gestern nichts mehr gegessen und in seinem Blut befanden sich bestimmt noch Reste des Wirkstoffs. Aber er atmete gleichmäßig.
Und jetzt? Sie hatte ihn wieder betäubt, aber diesmal würde er sich an wesentliche Dinge erinnern, wenn er erwachte. Trotzdem hatte sie sich dazu entschlossen. Was hatte sie schon zu verlieren?
Ihn.
Er hatte sie nicht weiter treffen wollen, war noch nicht überzeugt von ihr.
Aber von einer Kidnapperin … von der lässt er sich einlullen.
Nein, natürlich nicht. Sie hatte im Affekt gehandelt. Die Angst, ihn wieder zu verlieren, ihn an Patricia, Verena und die ganzen Fans abgeben zum müssen, das hatte den Ausschlag gegeben. Und jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Sie musste mit der neuen Situation umgehen. Daniela sah auf die Uhr. Wie viel Zeit ihr blieb, bis er aufwachte, konnte sie nur schätzen. Sie musste es riskieren und ihn eine Weile allein lassen.
Sie verschloss die Haustür, aber wenn er zu sich kam, konnte er fliehen. Sie hatte nichts bei sich, um ihn effektiv zu fesseln, also blieb ihr nur, sich zu beeilen und zu hoffen.
Daniela stieg in ihr Auto und fuhr los.
Sie fuhr Richtung Innenstadt und hielt zuerst bei einer Bank. Sie hob einen größeren Betrag von ihrem Konto ab. Mit Bargeld fühlte sie sich sicherer, anonymer.
Danach parkte sie vor einem Baumarkt. Ein freundlicher Mitarbeiter führte sie die Gänge entlang, bis zu dem, was sie suchte.
„Welche Dicke soll’s denn sein?“, fragte er. Daniela betrachtete die verschiedenen Ketten auf den Plastikrollen und unterdrückte die Tränen, die sich in ihrem Augenwinkel sammeln wollten. Sie zeigte auf eine der stabileren Metallketten, die aber noch geschmeidig genug wirkte, um sie dicht um ein Handgelenk zu legen.
Wie viele Meter sie benötige?, fragte der Verkäufer. Daniela ließ ihn zehn laufende Meter abmessen. Fast die ganze Rolle. Er legte ihr das schwere Bündel in den Einkaufswagen und Daniela schob durch die Gänge davon zur Kasse. Unter Tränen kaufte sie noch fünf Schlösser, die die richtige Größe für ihr Vorhaben besaßen und einige Lagen Schaumstoff, Werkzeug und ein paar Kleinteile. Die Frau an der Kasse sah sie etwas mitleidig an, als Daniela bezahlte, wahrscheinlich wegen ihren geröteten Augen. Dabei war die Kette nicht das Schlimmste, was sie kaufen musste.
9
„Bin jetzt an der Wohnung, Curly“, sagte Attila. „Ist alles ruhig hier. Ich hab geklopft und geklingelt. Ich geh jetzt rein.“
„Okay, tu das.“ Patricia hielt kurz die Luft an und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.
Bitte … bitte lass ihn nicht tot in der Wohnung liegen … bitte …
„Scheint nicht da zu sein“, hörte sie Attila sagen.
„Ist sein Bett leer?“, fragte sie.
„Ja. Sieht unbenutzt aus. Tagesdecke drauf. Ich schau mal im Bad.“
Wieder vergingen bange Sekunden, in denen Patricia fürchtete, Attila könnte Kiran tot in der Badewanne vorfinden. Auch junge Menschen konnten einen Herzinfarkt erleiden.
„Niemand da. Ehrlich du, der ist hier nicht“, sagte Attila.
„Aber … wo könnte er hin sein?“, sagte sie.
„Was weiß ich“, sagte Attila.
„Stand sein Auto vor der Tür?“
„Nein.“
„Wenn er bis heute Abend nicht auftaucht, sollten wir eine Meldung bei der
Weitere Kostenlose Bücher