Follower - Die Geschichte einer Stalkerin
Tüte, in der sie die leeren Spritzbestecke aufbewahrte. Sie nahm zwei originalversiegelte Spritzen heraus. Sie entfernte die Verpackung und öffnete die K.O.-Tropfen. Dann zog sie die Flüssigkeit pur auf die Spritze. Eine tödliche Überdosis. Sie bereitete auch die zweite Spritze vor. Eine für sich selbst und eine für ihn. Wenn man sie stellte, konnte sie drohen, ihn damit zu töten. Sie konnte verlangen, dass die Polizei verschwand und sie gehen ließ. Und wenn sie es nicht taten, dann konnte sie noch diesen einen anderen Weg wählen. Den letzten. Vielleicht war das ihr Schicksal. Viele Liebespaare starben gemeinsam. Das kannte man aus der Literatur, aus berühmten Büchern. Und man opferte sich füreinander. Ihre Verzweiflungstat würde auch für ihre Mutter besser zu ertragen sein, als die Schmach einer verurteilten Entführerin. Daniela sehnte sich nach ihrer Mutter. Sie hatte ihr abgeschworen, aber trotzdem war da dieses Einsamkeitsgefühl, das sie quälte.
Daniela fühlte, dass es wichtig war, sich vorher zu entscheiden, wie weit sie gehen wollte. Sonst konnte sie versagen, wenn es soweit war.
Sie nahm die Spritzen und ging hinüber zu Kiran, der auf dem Bett lag. Seine Augen waren geschlossen. In der letzten Stunde hatte sie ihn in Ruhe gelassen, denn er fürchtete sich vor ihr, wenn er diese Droge in sich hatte. Wahrscheinlich eine normale Nebenwirkung, aber sie wusste eben nichts darüber. Der Name des Stoffs fing mit K an. Irgendwas mit K … früher hatte sie bei dem Buchstaben K immer an Kiran gedacht. Und bei A an Alex. Zufällig waren das auch noch seine Initialen K. A., Kiran Advani. Ihre große, verzweifelte Liebe. Und jetzt lag er hier vor ihr, ängstlich und voller Abneigung gegen sie. Das hatte sie nie gewollt. Er fürchtete sich und er litt. Wahrscheinlich würde er sein Leben lang unter diesem Trauma leiden und keiner Frau mehr vertrauen. Wie Alex in der Serie. Fast hätte sie gelacht, weil sie im Grunde ihr Ziel erreicht hatte. Er würde Frauen ab jetzt meiden. Nur leider bezahlte sie dabei einen hohen Preis, denn sie selbst war wohl die Frau, die er am meisten ablehnte. Plötzlich tat er ihr sehr leid. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn und er zuckte zusammen.
„Ganz ruhig“, flüsterte sie. „Ich vergebe dir. Ich bin nicht mehr böse, weil du mich geschlagen hast.“ Sie streichelte ihn und Kiran lag ganz still, reagierte nicht mehr. Ihr kam der Gedanke, dass die Spritze eine Erlösung für ihn sein konnte. Und für sie selbst. Sie konnte es tun, sich und ihn erlösen. Dann fand man sie, aber niemand wusste wirklich, was passiert war. Wenn sie ihn tötete
wenn ich ihn einschlafen lasse …
und wenn sie dann alles so herrichtete, dass das Häuschen ganz normal aussah … keine Ketten, nichts. Dann konnte sie sich neben ihn legen. Wenn man sie fand, konnte man glauben, dass sie ein Liebespaar waren, das sich das Leben genommen hatte. Ihre Mutter würde schon wegen der Nachbarn nichts sagen und Patricia wusste nicht genug. Ihr Ansehen würde so gewahrt bleiben. Es würde Spekulationen geben, ob Kiran Advani eine unerkannte Depression gehabt hatte. Alles Mögliche. Aber sie selbst war dann keine schändliche Entführerin mehr. Sie strich ihm über die Stirn. Selbst in seiner Erschöpfung war er schön. Ein schöner, trauriger Mann. Es gab viele Schauspieler, die Depressionen hatten oder an einer Überdosis von irgendwas starben. Der Gedanke war wirklich verlockend. Eine echte Lösung. Daniela legte die Spritzen auf den Nachttisch und ging wieder in die Küche. Der Ehrgeiz, eine andere Bleibe für sich und Kiran zu finden, war wie gelöscht. Sie überlegte, ob es etwas auf ihrem Notebook gab, was verfänglich war und was niemand sehen sollte. Und sie musste die anderen Spritzen entsorgen. Es gab viel zu tun. Und wenn sie der Mut verließ? Wenn sie es nicht konnte? Sie musste Kiran zuerst einschlafen lassen. Ihre Trauer würde dann auch ihr selbst helfen. Wahrscheinlich hatte jeder, der so etwas plante, ähnliche Gedanken. Sicher war das normal. Sie war kein Monster, keine Psychopathin. Sie war nur verzweifelt.
Traurig und verzweifelt.
15
Patricia parkte und stieg aus dem Wagen. Wenn sie sich richtig orientierte, dann musste sie quer durch das kleine Wäldchen gehen, um zu dem Haus zu kommen. Der Privatweg begann gute einhundert Meter weiter und führte direkt zum Haus. Dort durfte sie sich nicht blicken lassen, um Kiran nicht zu gefährden.
Sie stellte ihr Handy auf
Weitere Kostenlose Bücher