FOOD CRASH
und Futtergetreide gibt. Dieser Einfluss wird in den nächsten Jahren stark anwachsen, wenn die Entwicklung entsprechend der Prognosen verläuft. So zeigen die Nationalen Aktionspläne für Energie und Verkehr in der EU , dass der Verbrauch an Biokraftstoffen in Europa signifikant zunehmen wird. 2020 werden Biokraftstoffe 9,5 % des Gesamtenergieverbrauchs im Verkehrssektor ausmachen, 92 % dieser Kraftstoffe werden aus Nahrungspflanzen gewonnen werden (z.B. Ölsamen, Palmöl, Zuckerrohr, Zuckerrübe, Weizen). [21]
Nun ist es schlimm genug, wenn die 120-Liter-Tankfüllung eines Geländewagens mit der Ernährung eines Menschen für ein ganzes Jahr bezahlt werden muss.
Dass aber obendrein die Produktion von Ethanol keinerlei Entlastung für die Klimaerwärmung mit sich bringt, macht sie zu einem Skandal. Zu diesem Ergebnis kam schon im Januar 2008 eine Studie des »Joint Research Center«, des wissenschaftlichen Dienstes der Europäischen Union. Die Wissenschaftler haben bei ihrer Berechnung berücksichtigt, dass bei den einzelnen Produktionsschritten von Ethanol auf dem Acker und in der Fabrik bereits zwei Drittel der Energie verbraucht werden, die durch diesen Treibstoff erzeugt werden soll. Sie haben aber zusätzlich die Wirkung von Stickoxiden eingerechnet, die als Folge der Stickstoffdüngung aus dem Acker gasen. Diese entwickeln eine Treibhauswirkung, die um das 300-Fache [22] über der von CO 2 liegt. »Es ist wahrscheinlicher, dass die amerikanische Ethanolproduktion die globale Erwärmung eher verursacht, als sie zu lindern«, ist die wahrhaft bestürzende Schlussfolgerung in dem Bericht an die EU -Kommission. Diese Sichtweise wird immer häufiger geteilt, unter anderem in einer Studie der amerikanischen Purdue University [23] , die 2010 im Fachmagazin
BioScience
veröffentlicht wurde.
Der deutsche Bund für Umwelt und Naturschutz ( BUND ) stellte die Effizienz der Bioenergie in seinem Papier »Energetische Nutzung von Biomasse« in Relation zu anderen technischen Lösungen und kommt dabei zu einem verblüffenden Ergebnis: »Die Gesamtanalyse der energetischen Erzeugung und Nutzung zeigt, dass bei der Umwandlung von Sonnenenergie in Biomasse-Energie auf dem Acker oder im Wald ein relativ geringer Jahresertrag erzielt wird, im Vergleich zu anderen technischen Systemen. Der typische Ertrag liegt hier bei 1 bis 3 kWh Primärenergie/Quadratmeter oder ca. 1000 bis 3000 l Öläquivalent pro Hektar. Demgegenüber weisen Solarkollektoren einen Jahresertrag von ca. 400 kWh th /m 2 , PV -Anlagen von 100 kWh el /m 2 und Windparks von ca. 50 kWh el /m 2 bezogen auf die jeweilige Gesamtfläche auf.« [24]
Im Dezember 2010 konnte man in einem Beitrag der Nachrichtenagentur Reuters lesen, zu welcher Einschätzung ein ehemaliger Förderer der Ethanolwirtschaft gelangt ist: Der frühere amerikanische Vizepräsident Al Gore bedauert heute, sich in den 1990er Jahren so stark für den Ausbau der Ethanolwirtschaft eingesetzt zu haben. Man müsse jetzt feststellen, so die späte Einsicht des engagierten Klimapolitikers, dass der Energiemais-Anbau, der mit Milliarden von Steuergeldern in die Höhe getrieben worden sei, definitiv Anteil am Ansteigen der Nahrungsmittelpreise haben würde. Während dieses Buch in Druck geht, zeichnet sich eine Änderung ab: Offenbar erwägt man in den USA – möglicherweise wegen der drückenden Staatsschulden –, aus der Subvention von Ethanol auszusteigen. Das wäre in der Tat ein wichtiges Signal!
Die Ölscheichs auf dem Acker
Was Al Gore auf einer Umweltkonferenz in Athen dem Reuters-Korrespondenten anvertraut hat, bewegt auch die deutschen Umweltpolitiker, die sich vor einem knappen Jahrzehnt für den Sprit vom Acker starkgemacht haben.
Als sich im Dezember 1999 herausstellte, dass entgegen allen Beschwichtigungen auch in Deutschland Rinder an dem vor allem in England grassierenden »Rinderwahnsinn« BSE erkrankt waren, sah sich Landwirtschaftsminister Funke gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. Neue Landwirtschaftsministerin wurde – zu ihrer eigenen freudigen Überraschung – die Grünen-Politikerin Renate Künast. Mit ihrer Ankündigung, es müsse jetzt eine Agrarwende und fortan so etwas wie ein Reinheitsgebot für Futtermittel geben, entsetzte sie die Mehrzahl der konservativen Bauern und insbesondere deren Berufsvertreter, den Deutschen Bauernverband. Die fühlten sich an den Pranger der öffentlichen Meinung gestellt. Seinen Funktionären schwante düster, dass ihr
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