FOOD CRASH
nicht mithalten. Und mit den Bauern werde die Ernährungssouveränität der Mexikaner zugrunde gerichtet – also die Fähigkeit, das Grundnahrungsmittel der eigenen Bevölkerung selbst zu erzeugen.
Was stimmt denn nun? Die Geschichte vom zu billigen Mais? Oder die vom zu teuren? Oder ist das einfach nur wieder ein Beleg dafür, dass die Vereinigten Staaten tun können, was sie wollen, es wird ihnen so oder so zum Vorwurf gemacht?
Obwohl dieser Abschnitt ja eigentlich davon handeln soll, wie sich die landwirtschaftliche Energieerzeugung auf die Ernährungssituation der Menschen auswirkt, muss ich auf ein später zu behandelndes Thema vorgreifen, um aus diesem Knäuel einen erkennbaren Faden zu gewinnen. Es stimmt nämlich beides.
Seit 1994 das nordamerikanische Freihandelsabkommen zwischen Kanada, USA und Mexiko ( NAFTA ) geschlossen wurde, konnten Waren zwischen diesen drei ungleichen Volkswirtschaften frei gehandelt werden. Das hat insbesondere für einige Industrieunternehmen des südlichsten Partners wichtige wirtschaftliche Impulse gebracht, weil sie ihre Ausfuhren nach Norden vervielfachen konnten. Die mexikanischen Bauern gerieten allerdings unter erheblichen Druck. Denn ihre Betriebe sind erheblich kleiner und weniger rationalisiert als die der amerikanischen Farmer und müssen dazu meist unter erheblich schwierigeren natürlichen Voraussetzungen arbeiten. Sie erhalten darüber hinaus auch deutlich weniger staatliche Unterstützung. Deshalb konnten und können sie bei den niedrigen Preisen nicht mithalten, zu denen die Amerikaner produzieren. Viele von ihnen zogen sich auf »Subsistenzwirtschaft« zurück – bauten also nur noch für den eigenen Bedarf an. Andere verließen Haus und Hof und vergrößerten durch ihre Landflucht die Slums der Städte. Nicht wenige begaben sich gleich auf die Flucht in die USA .
Seit Mitte der 1990er Jahre hat Mexiko, die genetische Wiege der Maispflanze, die Souveränität über die Erzeugung seines wichtigsten Grundnahrungsmittels verloren. Dass dazu auch das Bevölkerungswachstum und die bei niedrigen Preisen attraktive Verfütterung von Mais in großen mexikanischen Produktionsanlagen an Schweine und Rinder beigetragen haben, macht das Bild um eine weitere Facette komplizierter.
Nun sollte man denken, dass die steil ansteigenden Maispreise sofort die Produktion ankurbeln und damit das Problem hätten wieder beseitigen müssen. Eine solche Schlussfolgerung rechnet aber nicht ein, dass landwirtschaftliche Produktion nicht so schnell reagieren kann wie die von Stahl oder Plastik. Mehr noch als die langen Zyklen von Saat und Ernte ist dafür das Verschwinden der Bauern (und damit auch ein Verschwinden von Arbeitskraft) in den entlegenen Gegenden des Landes verantwortlich. Zudem können die unterbliebenen Investitionen in die Infrastruktur von Lager, Transport und Verarbeitung nur sehr langfristig wettgemacht werden – was im Übrigen auch deshalb nicht geschieht, weil die Preise nicht dauerhaft und verlässlich hoch bleiben, sondern im Gegenteil immer größeren Schwankungen unterworfen sind. Es ist deshalb im höchsten Maße unwahrscheinlich, dass die Armen in Mexikos Großstädten, die von diesen Schwankungen am härtesten betroffen sind, in ihre Berge und Täler zurückkehren können, um dort selbstbestimmt und ohne Angst vor Not und Hunger als freie Bauern zu wirtschaften.
Ist also »Ethanol im Tank statt Tortilla auf dem Teller« gar kein Problem? Wie das Beispiel Mexikos zeigt, bedarf diese Frage einer sehr differenzierten Antwort.
Dazu müssen noch zwei weitere Aspekte betrachtet werden: erstens der Einfluss der Ethanolproduktion auf den Weltmarkt für Getreide und zweitens die Klimabilanz – also der Vergleich zwischen der durch Ethanoleinsatz eingesparten CO 2 -Produktion und dem Entstehen von Klimagasen bei der Erzeugung von Ethanol.
Die Menschheit hat seit Beginn der Industrialisierung die Methoden perfektioniert, dem Boden fossile Energieträger zu entnehmen. Das hat uns in die Lage versetzt, die Vorkommen von Erdöl und Erdgas in immer noch zunehmendem Tempo zu leeren. Es gibt sehr widersprüchliche Aussagen darüber, wie lange die Vorräte noch reichen. Aber die Tatsachen, dass die US -amerikanische Regierung schon wenige Monate nach der Katastrophe von »Deep Horizon« im Golf von Mexico die Tiefenbohrung für Öl wieder freigegeben hat, dass im Mittelmeer sogar an noch deutlich tieferen Stellen gebohrt wird und dass auch die extreme
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