FOOD CRASH
sondern auch durch die Ausdehnung des Wasserkörpers bewirkt – ganz so, wie wir das einmal im Physikunterricht gelernt haben.
»In der besonders gefährdeten Zone, die weniger als 5 m über Meeresniveau liegt, leben bereits heute 275 Millionen Menschen. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird diese Zahl schätzungsweise auf 410 Millionen Menschen steigen. Für Europa wird geschätzt, dass bei einem Meeresspiegelanstieg von 1 m etwa 13 Millionen Menschen bedroht wären.« [16] Wie stark davon einzelne Volkswirtschaften betroffen wären, ist der Tabelle zu entnehmen, die aus der gleichen Quelle wie das vorangestellte Zitat entstammt.
Die Strategen in den Regierungszentralen der Welt wissen, dass schon heute der Mangel an Wasser weltweit das größte Friedensrisiko darstellt. Nach Angaben der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit [17] haben schon jetzt 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Für noch viel mehr Menschen fehlt Wasser für die ausreichende Bewässerung ihrer landwirtschaftlichen Kulturen. [18] Zahllose Konflikte innerhalb von Ländern oder zwischen Völkern werden durch den Anspruch an diese knappe Ressource verursacht. Wenn nach und nach die großen Gletscher des Himalaya der Erderwärmung zum Opfer fallen, dann entsteht daraus eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes. Denn aus ihnen speisen sich die großen Flüsse Zentral- und Ostasiens, aus denen Hunderte von Millionen Menschen das Wasser für ihre Felder und ihren täglichen Lebensbedarf schöpfen.
All diese Bedrohungen, die sich längst als ausgesprochen real erwiesen haben, zeigen, dass Investitionen in die Abmilderung des globalen Temperaturanstieges um ein Vielfaches rentabler sind, als Investitionen in eine Produktivitätssteigerung es je sein können.
Tank oder Teller?
Schon ehe die weltweit steigenden Preise für landwirtschaftliche Produkte das Jahr 2008 zum Jahr der Hungerrevolten werden ließ, machte ein Vorbote dieser Ereignisse Schlagzeilen. Griffige Worte lassen sich leicht einprägen, und deshalb verbreitete sich die Nachricht von steigenden Maispreisen in Mexiko unter dem Titel »Die Tortillakrise«. Die Maismehlfladen, die mit allerlei pikanten Köstlichkeiten gefüllt werden, sind auch den weltgewandten Feinschmeckern hierzulande durchaus ein Begriff. In Mexiko sind sie das wichtigste Grundnahrungsmittel. Sie sind es so sehr, dass man im Vaterunser im Land der Azteken eher um tägliche Tortillas als ums tägliche Brot bitten müsste. Laut Weltbank sind weniger als 20 % der Mexikaner arm. Aber diese 20 Millionen Menschen müssen den Großteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden. Steigt der Kilopreis für Tortillas von 40 auf 75 Euro-Cent, dann bedeutet das, dass sie hungern. Entsprechend groß war die politische Sprengkraft, als in den Straßen der Millionenmetropole Mexico City wütende Menschen auf die Barrikaden gingen. Am Ende sah sich Präsident Felipe Calderón sogar genötigt, mit den Agrarunternehmen einen Höchstpreis für den Mais auszuhandeln.
Der Grund für die Krise war eine weltweite Verknappung der Maisvorräte. Zwar gibt der
Grain Market Report
für 2006/2007 ein Defizit von nur 2 % des Weltverbrauches an. Das sind 16 Millionen Tonnen. Da das aber der Jahresration von 80 Millionen Menschen mit mexikanischen Essgewohnheiten entspricht, reichte dieses Defizit, um die Preise explodieren zu lassen.
An die Kommentare, die während dieser Monate in Zeitungen und Blogs erschienen, erinnere ich mich noch gut. Sie wiesen auf die enorme Steigerung der amerikanischen Ethanolproduktion hin, die damals bereits ein Fünftel der amerikanischen Maisernte beanspruchte, und schilderten, wie diese Industrie in ihrem rasanten Wachstum den Maismarkt buchstäblich leer saugte.
An keiner Stelle ist der direkte Zusammenhang zwischen leeren Tellern und vollen Tanks so deutlich geworden wie im Mexiko der Tortillakrise. Aber dieses Beispiel zeigt auch, dass die Verhältnisse komplexer sind, als sie auf den ersten Blick scheinen und als sie Zeitungskommentaren und Reportagen erkennbar machen. Denn noch wenige Monate vor den ersten Meldungen, dass wegen der Verteuerung des amerikanischen Maises in Mexiko der Hunger ausgebrochen sei, hatte ich etwas ganz anderes gelesen: Der billige amerikanische Mais vernichte die mexikanischen Bauern! Denn diese könnten mit den niedrigen Produktionskosten einer industrialisierten Großflächenlandwirtschaft im nördlichen Nachbarland
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