Fool on the Hill
lassen? Glaubst du, die beiden würden zu guter Letzt bekommen, was sie sich wünschen ?‹
›Na sicher doch‹, sagte ich (es sollte noch ein paar Jahre dauern, bevor ich überhaupt anfing, mir vorzustellen, eine Geschichte könnte auch anders als vollkommen happy enden). Natürlich würden sie’s bekommen.‹
›Einfach so.‹ ›Na ja‹, sagte ich, ›wenn sich die Geschichte wirklich genau darum drehte...‹
›Ja?‹
›... Na ja, dann müßten die zwei vorher wahrscheinlich irgendwas tun.‹
›Was denn zum Beispiel?‹
›Och, ich weiß auch nicht... ^vielleicht einen indianischen Windtanz aufführen ?‹«
Kalliope lächelte. »Einen indianischen Windtanz?«
»He, ich war zwölf, okay?« Er fuhr mit seiner Erzählung fort. »Und Erasmus sagt: ›Toll, das machen wir‹, als ob ich auch nur die geringste Vorstellung davon gehabt hätte, wie so ein Tanz aussieht.«
»Und was hast du dann gemacht?«
»Was konnte ich schon tun? Hab irgendwas improvisiert. War nicht viel - eigentlich hab ich mich nur auf der Stelle gedreht und dabei den Drachen mit der einen Hand hochgehalten und die Schnur mit der anderen.«
»Und was ist dann passiert?«
»Nichts.« Jetzt lächelte George. »Zuerst jedenfalls. Wir haben’s versucht, und es kam immer noch kein Wind, also haben wir es noch mal versucht, und noch einmal, und da...«
»Und da?«
»... da war dann so ein Augenblick... des Übergangs, ein Augenblick der Macht - ich weiß nicht, vielleicht wurde mir auch nur schwindlig, aber es war auf einmal so, als sei das wirklich eine Geschichte, eine Geschichte und trotzdem wirklich, und man mußte sich für einen Schluß entscheiden, und es erschien richtig, daß sie damit enden sollte, daß der Wind kam.«
»Und er kam.« Eine Feststellung, keine Frage.
»Er kam«, bestätigte George. »Und seitdem... Ich weiß auch nicht, es ist wie -«
»Wie Schreiben ohne Papier«, schlug Kalliope vor.
»Ja«, sagte George. »Ja, genau so.«
»Meinst du«, fragte sie ihn jetzt, »daß es auch mit etwas anderem klappen würde? Nicht nur mit dem Wind?«
»Keine Ahnung. Ich hab’s noch nie ausprobiert.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich schätze, es hängt von den Umständen ab.« »Na... und wenn es dabei um dein Leben ginge, George... was dann?«
Sie senkte für den Bruchteil eines Augenblicks bewußt die Lider, ließ ihn frei, und mit einem Mal nahm George wieder seine Umgebung wahr. Seine Benommenheit hatte einen Grad erreicht, bei dem die Farben und Formen der Dinge keine Festigkeit mehr besaßen. Der ursprünglich braune Bezug des Sofas schwankte nun zwischen Dunkelrot und einem fluoreszierenden Orange; die Umrisse des Tisches waren verschwommen, als sei jetzt ungewiß, wieviel Raum er einzunehmen gedachte. Und was das Sonnenlicht anging, das durch das Wohnzimmerfenster hereinströmte ... Wahnsinn...
»Du hast mir etwas in den Tee getan«, begriff George, und schlagartig überfiel ihn eine panische Angst - wie ein Tiger, der sich die ganze Zeit durchs Unterholz an ihn herangeschlichen hatte. »Was hast du mir in den Tee getan, Kalliope?«
»Etwas, das dein Bewußtsein ein bißchen erweitert«, erklärte ihm Kalliope, die selbst unverändert, klar umrissen blieb. »Und das dir hilft, dich zu verteidigen.«
»Mich zu ver-... oh... he, nein !«
Mit einem Klicken von Klauen und Zähnen hatte der kleine Metalldrache begonnen, sich zu entrollen. Er streckte sich mehr und mehr, Flügel flatterten, Saphiraugen glommen von einem neu entfachten inneren Funken. George schauderte zurück.
»Was soll die Scheiße, Kalliope!« schrie er. »Was -«
»Ich habe dir in der ersten Nacht gesagt«, erwiderte sie gelassen, »daß ich dir ein paar Dinge beibringen würde. Betrachte dies als eine Unterrichtsstunde.«
»Vielen Dank, aber ich glaube, mir ist jetzt nicht nach Schule. Könntest du bitte -«
»Schreiben ohne Papier, George. Stell dir einfach vor, daß du ohne Papier schreibst, und dir wird nichts passieren. Hoffe ich wenigstens.«
Sie stand auf.
»Moment mal!« befahl George. »Du gehst nirgendwohin!«
»Ich bin schon weg«, sagte Kalliope. »Wir sehen uns nach dem Unterricht.« Ihre Gestalt verschwamm und löste sich auf; ihr Gewand fiel leer zu Boden.
George verschwendete keinen Augenblick damit, sich über den Zaubertrick zu wundern, sondern fand sich sofort mit der Tatsache ab, daß er auf sich allein gestellt war. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Drachen, der jetzt in kräftigen Zügen Luft
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