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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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es aber doch einen gab, war er nicht weiter überrascht, festzustellen, daß alles verschmiert war und sich nur noch die Stadt - Chicago - entziffern ließ. Er schaute noch mal auf Datum und Uhrzeit des Poststempels und dachte, daß das Päckchen per Eilboten geschickt worden sein mußte - und zwar per) verdammt eiligem Eilboten, wenn er es sogar noch vor dem Brief- \ träger von Illinois bis nach New York geschafft hatte. Die Empfängerangabe warf nicht weniger Fragen auf: AN DEN SCHUTZHEILIGEN DER TAGTRäUME , Ithaca, N. Y. 14850. Keine Straße und Hausnummer. Trotzdem hatte es bis zu ihm gefunden, und obwohl er sich damit eines zum Himmel stinkenden Eigenlobs schuldig machte, begriff George irgendwie schon, warum ihn ein Fan (wenn schon kein Kritiker) als »Schutzheiligen der Tagträume« titulieren konnte. Wie aber hatte es der noch-nicht-da-gewesene Briefträger fertiggebracht, ihn als den Empfänger zu identifizieren?
    »Was soll’s«, murmelte George. Die Entwirrung dieser Widersinnigkeiten konnte problemlos auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Er zerriß das braune Packpapier, dann die zahlreichen Schichten Zeitung, die darunter zum Vorschein kamen. Schließlich entfernte er das letzte Blatt, warf es achtlos auf den Boden und hielt nun eine Schachtel aus dunklem Holz mit silbernem Verschluß und Silberscharnieren in der Hand. Auf dem Deckel war ein einziges Wort, in Elfenbein eingelegt, zu lesen:
     
    PANDORA
     
    »Schön«, sagte George. Ohne den Verschluß zu berühren, hielt er sich die Schachtel ans Ohr und rüttelte. Es war nichts zu hören. Der Inhalt füllte das Kistchen entweder ganz aus, oder aber er war gut gepolstert. Er las das Wort auf dem Deckel noch einmal.
    Die Büchse der Pandora, dachte er. Sie kam ihm ein wenig klein vor, um alle Übel, die die Menschheit plagten, zu enthalten. Doch nein: Selbst wenn es das Original gewesen wäre (was er in Anbetracht der merkwürdigen Weise, auf die das Paket zu ihm gelangt war, keineswegs ausschließen wollte), so mußte es der Sage nach bereits geöffnet, mußten die Übel schon herausgelassen worden sein. Jetzt konnte sich also nur noch die Hoffnung darin befinden. Als der optimistische Mensch, der er von Natur aus (und seit Kalliope mit ihm zusammenlebte, erst recht geworden) war, glaubte George eigentlich nicht, für eine Büchse voll Hoffnung Verwendung zu haben. Vielleicht konnte er sie ja einem Bedürftigeren schenken, Ragnarök etwa, der gerade in letzter Zeit ziemlich niedergeschlagen gewirkt hatte.
    Zwangsläufig an die weiße Marmorplatte auf dem Knochenacker erinnert - selbst die Buchstaben waren im gleichen Stil gehalten -, ließ George den Verschluß aufschnappen und hob den Deckel. Innen glänzte es metallisch.
    Die kleine Figur in der Schachtel sah nicht direkt wie die Hoffnung aus, es sei denn, ein chronisch Depressiver hätte sie entworfen: eine Hoffnung mit mehrfach gewundenem Silberleib, Elfenbeinfängen, jadegeschuppten Schwingen und Bauch und mit Augen, die aussahen, als wären es Saphire. Es fehlte nur noch die Stichflamme aus dem Maul.
    Ein Drache. Jemand hatte ihm einen geflügelten Miniaturdrachen geschickt. Er nahm ihn aus der Schachtel, staunte über sein geringes Gewicht und legte ihn auf den Couchtisch. Das Ding war zweifellos einiges wert, doch weder diese Tatsache noch die offensichtliche Meisterschaft des Juweliers, der es hergestellt hatte, fielen George im ersten Augenblick auf. Bei all seiner Schönheit war der Drache ausgesprochen häßlich, ganz wie es sich für ein Ungeheuer gehört, und aus den dunkelblauen Augen strahlte eine unleugbare Infamie. Ja, wenn man seine bescheidenen Ausmaße in Rechnung stellte (knapp dreißig Zentimeter von der Schwanzspitze zur Schnauze), hätte er wirklich kaum bös- i artiger aussehen können.
    Nachdem er geschlagene fünf Minuten lang erfolglos versucht hatte, den Drachen zum Weggucken zu bewegen, nahm George die Büchse der Pandora wieder in die Hand und sah nach, ob sie noch etwas enthielt: eine Zweit-Hoffnung vielleicht oder einen Zettel, aus dem wenigstens ein Hinweis auf Sinn und Zweck dieses Geschenks hervorging. Es war nichts da.
    »Was zum Teufel ist das?« fragte George verwirrt und musterte erneut den Drachen. In diesem Augenblick kam Kalliope, eine Tasse samt Untertasse auf der flachen Hand balancierend, aus der Küche zurück.
    »Tee«, verkündete die Dame.
    »He«, sagte George, zu ihr aufblickend. »Schau mal, was ich gekriegt hab.«
    »Ja, ich weiß«,

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