Fool on the Hill
Heils‹; George schätzte, daß die ›Harvard Lampoon‹ - wenn schon sonst niemand - sie nehmen würde. Kalliope hantierte in der Küche. Sie war zwar momentan nicht zu sehen, verursachte aber (so schien es wenigstens) eine ausreichende Geräuschkulisse, um ständig in den Randbezirken von Georges Gedanken gegenwärtig zu bleiben. Nicht, daß er je aufgehört hätte, an sie zu denken. Seit ihrer Erscheinung im Fiebertraum war jede Nacht der Liebe und jeder Tag dem Schreiben gewidmet gewesen - außer wenn er unterrichten mußte, was ihm jetzt eine lästige Pflicht war. Er erinnerte sich, einst befürchtet zu haben, erwiderte Liebe könnte das Ende seiner Kreativität bedeuten; Tatsache aber war, daß Kalliope ihn weit mehr inspirierte, als es die Einsamkeit je vermocht hatte. Wo sie herkam und aus welchem Grunde sie zu ihm gekommen war, blieb weiterhin ein Rätsel.
Sie hatte in der Küche das Radio an, und ein quäkender Sprecher - zweifellos ein Student vom Ithaca College, der ein Praktikum absolvierte - betete die wichtigsten Nachrichten des Tages herunter: Präsident Botha hatte wieder einmal klargestellt, daß die Vorherrschaft der weißen Minderheit in Südafrika niemals enden würde; Nancy Reagan hatte wieder einmal ein neues Porzellanservice für das Weiße Haus gekauft; und vom O’Hare-Flughafen meldeten Agenten der Bundesluftfahrtbehörde, sie könnten sich auch nicht erklären, woher die zweiköpfige Kuh stamme, die auf eine Rollbahn geschlendert war und sich einer zum Start beschleunigenden 747 in den Weg gestellt hatte.
George hatte gerade eine Seite beendet und ein neues Blatt eingespannt, als Kalliope in ihrem silberdurchwirkten Gewand und mit einem großen Paket in den Händen in der Küchentür erschien.
»Das ist heute mit der Post gekommen«, sagte sie und stellte das Paket auf den Couchtisch neben seine Schreibmaschine. »Und das.« Sie reichte ihm einen cremefarbenen Umschlag. George riß die Augen auf.
»Der Briefträger ist heute morgen doch noch gar nicht dagewesen«, wandte er ein, ohne allerdings eine Erklärung zu erwarten. Er bekam auch keine.
»Tja«, war alles, was Kalliope dazu zu sagen hatte. Sie lächelte achselzuckend, denn Briefträger oder nicht: Beide Sendungen waren ordnungsgemäß frankiert und trugen den Poststempel vom Vortag, und wenn dies der Logik widersprach, so war das nicht Kalliopes Problem. Und wie sie ihn anlächelte (keine Metapher wäre angemessen gewesen, um ihre Schönheit zu beschreiben), stellte George fest, daß es ihm eigentlich auch ziemlich egal war. »Schön«, sagte er schließlich. Er öffnete zuerst den Umschlag und zog eine silbrigschimmernde Karte hervor - genauso eine, wie Aurora sie vor wenigen Tagen bekommen hatte.
Jedem Gast wird ein Zauber versprochen...
Wie Aurora fragte sich auch George, wer von der Tolkienia auf die Idee gekommen sein mochte, ihn zu einem Halloween-Fest einzuladen, denn er war während seines ganzen Aufenthalts in Cornell noch nie dort (oder in sonst einem Verbindungshaus) gewesen. Aber es gab noch ein paar andere Dinge an der Karte, die George stutzig machten, Dinge, die Aurora nicht weiter aufgefallen waren, wie zum Beispiel die eingeprägte weiße Rose oder die allerersten Worte. Die Dame vom Tolkien-Haus, hieß es da. Anders als Brian beunruhigte George dabei weniger die Vorstellung, daß eine Frau Einladungen im Namen einer Studentenverbindung verschickte, als vielmehr die Tatsache, daß ihn das Wort »Dame« aus unerklärlichen Gründen sofort an Kalliope denken ließ.
»Du...«, begann er verlegen, indem er zu ihr aufblickte.
»Ich?« fragte Kalliope. Sie hob eine Augenbraue und lächelte strahlender denn je, als habe sie ein besonders amüsantes Geheimnis.
»Nur ein blöder Einfall«, schickte George gleichsam als Warnung vorweg. Dann platzte er mit dem Rest heraus: »Kennst du... sonst noch jemand in Cornell? Ich meine damit... du bist doch vorher noch nie in Ithaca gewesen, oder?«
»Ich bin nur deinetwegen zum Hügel gekommen, George«, versicherte ihm Kalliope. Es dauerte eine Minute, bis er begriff, daß seine Frage damit noch keineswegs beantwortet war, doch inzwischen hatte sich die Dame wieder in die Küche zurückgezogen. Also richtete er seine Aufmerksamkeit auf das große, in braunes Papier eingeschlagene Paket. Von nebenan hörte er ein leises Scheppern und das Zischen des Gasherdes: Kalliope setzte Teewasser auf.
Er hatte eigentlich nicht erwartet, einen Absender auf dem Paket zu finden; als
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