Fool on the Hill
sagte sie ruhig, als habe sie vorher selbst nachgesehen, was das Paket enthielt. Sie stellte die Teetasse vor ihn hin. »Hier, trink. Er ist nicht zu heiß.«
George sah kurz die Tasse an, dann wieder sie. »Wen kennen wir in Chicago?« fragte er, wobei er das zweite Pronomen im Satz bewußt überbetonte.
»Bürgermeister Daley?« schlug Kalliope vor. »Vielleicht hat ihm eins deiner Bücher gefallen, und er wollte dir eine Freude machen.«
»Ich glaube nicht, daß Bürgermeister Daley in letzter Zeit viel zum Lesen kommt«, meinte George, und Kalliope lachte und beugte sich über den Tisch, um ihm einen flüchtigen Kuß zu geben. Auch er lachte; was blieb ihm anderes übrig? Er konnte sie nicht zwingen, ihm eine offene und vernünftige Antwort zu geben, wenn ihr der Sinn nicht danach stand. Soviel wußte er inzwischen.
»Trink deinen Tee«, wiederholte Kalliope. George nahm die Tasse und nippte zaghaft. Sie hatte recht - er war nicht zu heiß.
»Die konnten gar nicht fliegen«, sagte er.
»Wer die?«
»Die Drachen. Absolute Fehlkonstruktion, aerodynamisch betrachtet. Hat mir mal ein Physikprof erzählt.«
»Auch Hummeln sind eine aerodynamische Fehlkonstruktion«, gab Kalliope zu bedenken. »Und außerdem heißt es in den Geschichten immer, daß Drachen fliegen können. Wem würdest du eher glauben?«
»Na ja...« Er streichelte die kleine Figur. »Ein Metalldrache könnt’s jedenfalls nicht.«
»Vielleicht kommt’s auch nur darauf an, mit welchem Wind er segelt.«
George nahm einen weiteren Schluck, fühlte sich mit einem Mal ganz leicht und luftig im Kopf und hatte bitteren Teegeschmack auf der Zunge.
»Kannst du zaubern?« fragte er sie dann.
Sie lächelte. »Zaubern? Wie kommst du darauf?«
»Das Ganze hier...« Er versuchte, Drache, Schachtel, Einladungskarte und »Schutzheiliger der Tagträume« mit einer einzigen Geste zusammenzufassen. »Das ist einfach zu verrückt, Kalliope.«
Sie strich ihm zärtlich über die Wange, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet echtes Mitleid. »Armer George«, sagte sie. »Du hast noch nicht die blasseste Ahnung, was das Wort ·wirklich bedeutet. Aber zaubern... zaubern kann ich nicht mehr als du.«
»Das ist keine Antwort.«
»Sie sagt alles«, beharrte Kalliope. Sie umfaßte seine Hand, führte die Tasse an seine Lippen und zwang ihn sanft, den restlichen Tee auszutrinken. Als die Tasse leer war, stellte er sie zurück auf die Untertasse und schob sie beiseite, während Kalliope seinen Blick auffing und festhielt. Er hatte wirklich das Gefühl des Gehaltenwerdens; sein Kopf war nicht mehr bloß etwas wirr, es schwindelte ihm, doch Kalliopes Augen nagelten ihn im Zentrum dieses Strudels fest.
»Erzähl mir eine Geschichte, Geschichtenerzähler«, sagte sie.
»Was denn für eine?«
»Wie du das erstemal den Wind gerufen hast. Als Junge.«
»Ich war mit meinem Onkel Erasmus unterwegs«, erinnerte sich George wie unter Hypnose. »Er hatte es geschafft, eine seiner Plastiken zu verkaufen - eine seiner richtigen Plastiken, nicht die Betontiere, von denen ich dir erzählt habe —, und wir wollten zur Feier des Tages Drachen steigen lassen. Riesige bunte kastenförmige Drachen, die mochte Erasmus am liebsten. Wir gingen zum Flushing Meadow Park hinaus, zur Stahlkugel von der Weltausstellung, bloß der Wind wollte nicht wehen. Wir haben Stunden gewartet, von kurz vor zwölf bis in den späten Nachmittag, und dabei über Gott und die Welt und noch einiges mehr geredet. Wir wollten nicht aufgeben und es ein andermal versuchen - es war fast eine Ehrensache.
Schließlich war die Sonne schon am Untergehen, noch immer rührte sich kein Lüftchen, und mein Onkel sagte: ›Okay, George, der Wind will offensichtlich nicht aus freien Stücken blasen, also werden wir uns eben überlegen müssen, wie wir ihm Dampf unterm Hintern machen können.‹ Ich fragte, wie wir das anstellen wollten, und er krempelte sich die Ärmel hoch, setzte sich hin und fing an nachzudenken.
Na ja, und wenn Erasmus sich auf ein Problem konzentriert, dann kommt er auf die bizarrsten Lösungen, die in der Regel auch funktionieren. Ein paar Minuten lang betrachtete er den Himmel, und dann sagte er: ›Du möchtest Schriftsteller werden, George, richtig ?‹
›Mehr als alles andere auf der Welt‹, antwortete ich.
›Na gut‹, sagte er, ›dann stell dir doch mal vor, du sitzt an einer Geschichte über zwei Typen, die den ganzen Tag auf Wind gewartet haben. Wie würdest du sie enden
Weitere Kostenlose Bücher