Fool on the Hill
Hobart nicht, was ihn getroffen hatte, er wußte nur, daß er in Schwierigkeiten steckte. Der Wind half ihm, den Gleiter im letzten Augenblick vor dem Aufprall auf eine Schneewehe (in die er sich metertief gebohrt hätte) abzufangen, doch hatte das Glück garantiert auch seine Hand im Spiel. Andernfalls wäre Hobart, wie er so haarscharf über den Boden durch die Finsternis dahinschoß, mit Sicherheit als nächstes gegen ein Hindernis geprallt.
Angestrengt auf verräterische Geräusche horchend, brachte Hobart den Gleiter mit gutem Zureden allmählich auf sicherere Flughöhe zurück. Eine minimale Veränderung im Heulen des Windes warnte ihn gerade noch rechtzeitig vor dem zweiten An- · griff des Boten, der von hinten auf ihn niederstieß. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, jagte Hobart seinen Flieger steil empor und auf den knarrenden Wirrwarr zu, von dem er wußte, daß es die obersten Zweige eines toten Ahorns waren. Er flog geradewegs darauf zu und riß im letzten Moment die Nase des Gleiters noch höher, so daß sie senkrecht zum Scheitel des Himmels wies. Wieder verfehlte der Bote, der mit mehr Schwung, als für ihn gut war, angerauscht kam, sein Ziel, schoß unter ihm hinweg und stanzte sich eine splitternde, krachende Bahn durch die Baumkrone.
»Ich verschwinde«, kündigte Hobart an, als wollte er damit seinen Feind besänftigen, doch der Bote machte in der kalten Dunkelheit schon zu einem dritten Anflug kehrt. Hoch über den Bäumen drehte der Kobold ab und steuerte die fernen Lichter von West Campus und Libe Slope an. Er nahm beide Fäden der Steuerung in eine Hand und griff mit der anderen nach dem Beutel an seinem Gürtel.
Der Bote, der mit seinen magischen Augen sah, was für die meisten Wesen unsichtbar gewesen wäre, setzte zielstrebig dem Gleiter nach und bereitete sich auf den entscheidenden Schlag vor. Während er mehr und mehr aufholte, machte er sich auf jedes mögliche weitere Ausweichmanöver gefaßt: Tauchte Hobart weg, würde auch er wegtauchen, stieg er, würde auch er steigen, ja wenn nötig ihn sogar im Kreis verfolgen. Seine Beute würde ihm nicht entkommen.
Hobart zog am Beutel. Gegen ein gewöhnliches Raubtier - etwa eine winterlich ausgehungerte Eule - hätte sein Inhalt nichts ausgerichtet, doch der Kobold hatte bereits erraten, daß sein Verfolger alles andere als gewöhnlich war. Hobart hatte in den wenigen Augenblicken eine ganze Menge erraten, und er hatte diesen unerfreulichen Erkenntnissen nur eines entgegenzusetzen.
Der Beutel löste sich nicht von seinem Gürtel. Er blieb stur an seinem Lederriemen hängen, der in der Eile und dem Sturm einfach nicht nachgeben wollte. Verzweifelt steckte Hobart einen Finger in die Öffnung und zwängte die Verschnürung auseinander. Direkt hinter ihm, zum Todesstoß bereit, kreischte der Bote gellend auf; Hobart fuhr erschrocken herum, und der Beutel löste sich von seinem Gürtel und fiel ihm aus der Hand. Der Wind erfaßte ihn, blähte ihn auf, stülpte ihn um, und Silberstaub wirbelte heraus und verteilte sich wie Samen aus dem Flugzeug eines Regenmachers.
Es war magischer Staub, und für den Boten war er wie eine undurchdringliche Mauer oder ein unsichtbarer Fausthieb aus dem Nichts. Schlagartig verharrte der Vogel mitten in der Luft, flatterte wild mit den Flügeln und spreizte krampfhaft die Fänge. Dann stürzte er, gelähmt, wie ein Stein vom Himmel; fiel zu Boden und stand diese Nacht nicht mehr auf. Doch er starb auch nicht, denn das Böse läßt sich nur schwer töten.
Um Haaresbreite dem Tod entronnen, trat Hobart fast kopflos vor Entsetzen den Rückzug zum Hügel an, und die Winde, mit denen er segelte, waren kaum sanfter als diejenigen, die ihn zuvor hinuntergetragen hatten. Der Riß in der Marienseide wurde allmählich breiter, der Rahmen des Gleiters bog sich in beängstigender Weise, und nur eine weitere günstige Laune des Schicksals ermöglichte es ihm, den rettenden Hangar in der Turmspitze unversehrt zu erreichen.
Er stieg aus dem beschädigten Gleiter, schloß das Tor und hastete dann die verborgene Treppe hinunter, durch die offene, windgepeitschte Glockenstube und in die Geborgenheit des Schachts, wo der Trank auf ihn wartete. Wenig später fand sich Hobart, vom Rausch überwältigt, wieder dem verblichenen Julius gegenüber.
»Warum nur?« fragte er die Erscheinung. »Warum zweimal in einem einzigen Leben? Womit haben wir das bloß verdient?«
»Die Gerechtigkeit ist eine komische Sache, mein Freund«,
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