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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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entgegnete Julius. »Es geht nicht immer darum, was du verdienst, als vielmehr darum, was die da oben beschließen, dir zu geben.«
    »Ich habe Angst.«
    Julius hob eine Augenbraue.
    »Zu Recht«, sagte er. »Zu Recht.«
     
    Nordlicht
     
    I
     
    Zwei Tage brauchten sie bis nach Wisconsin, zwei Tage - eine lange und zugleich kurze Zeit. Ein ausgestreckter Arm des »King Kongs der Schneestürme« (die Meteorologen hatten sich einer etwas weniger farbigen Formulierung bedient) hielt sie etwas auf; allerdings flaute der Blizzard auf Georges höfliche Bitte hin rasch wieder ab und blieb alsbald hinter ihnen zurück.
    Sie übernachteten beide Male in Motels, lagen nebeneinander in einem Doppelbett, während Luther sich zufrieden am Fußende zusammenrollte. In diesen zwei Nächten schliefen sie nicht miteinander; trotz ihrer früheren Intimitäten im Garten Lothlorien und trotz allem, was zu Thanksgiving passiert oder nicht passiert sein mochte, kamen sie kaum auf die Idee, sich auch nur zu berühren. Statt dessen redeten und redeten sie; in einem Roman würde es heißen: »Sie schütteten sich gegenseitig ihr Herz aus«, wenngleich die Worte, die sie sprachen, keineswegs hervorsprudelten oder sich sturzbachartig ergossen, sondern sanft dahinflössen. Ruhig und ernst geleitete George Aurora durch die ungeheure Bibliothek, die er in seinem Geist aufgebaut hatte, endlose Regale voll ungeschriebener Wälzer, Heerscharen von Geschichten, deren jede darauf wartete, endlich erzählt zu werden. Seine größte Angst war, daß er einst vielleicht einige seiner besten Ideen mit in den Tod nehmen müßte, bloß weil ihm die Zeit gefehlt haben würde, sie zu Papier zu bringen; gleichzeitig war dies aber auch seine größte Freude, da er wußte, daß sein Werk, und sollte er auch älter als Methusalem werden, nie vollendet sein, die Quelle niemals versiegen würde. Und Aurora - sie hatte zwar keine Bibliothek vorzuführen, aber ihre Träume hätten, wie kunstvoll gearbeitete Antiquitäten, mehr als ein großes Herrenhaus vom Erdgeschoß bis zum Speicher angefüllt. Lange nach Mitternacht erzählte sie ihm flüsternd (wie sie noch nie mit einem Menschen geflüstert hatte) von Rittern und Hexenmeistern, von ungestümen, doch listenreichen Drachen, von Obsidianstraßen wie gefrorene schwarze Flüsse. Langsam begriff George, wonach sie sich sehnte: Sie wollte von diesen Dingen nicht bloß träumen oder lesen - sie hatte den ehrlichen Wunsch, ein Märchen zu erleben.
    Ihr Ehrgeiz zeugte von größerem Mut und war zugleich schwieriger zu verwirklichen als der, Geschichten zu erzählen: doch, wie George ahnte, nicht so schwierig, wie er vor noch gar nicht langer Zeit geglaubt hätte.
    Als sie die Grenze nach Wisconsin erreichten, hatte George Auroras Prophezeiung bereits erfüllt und sich so sehr in sie verliebt wie sie sich in ihn. Irgendwie schienen zwei Tage eine viel zu kurze Zeitspanne gewesen zu sein, um ein so umwälzendes Ereignis zu ermöglichen, und nachträglich glaubte George, darin einen Einblick in die wahre Natur des Magischen gewonnen zu haben: Denn magisch sind solche Veränderungen, die eigentlich Ewigkeiten in Anspruch nehmen müßten, Veränderungen, die eigentlich überhaupt nicht stattfinden dürften und die sich trotzdem mit verblüffender Plötzlichkeit einstellen. In Ithaca hatte er zwar erkannt, welche Gelegenheit sich ihm mit Aurora bot, doch sich weiterhin nach Kalliope verzehrt; jetzt schien der Schmerz irgendwie unterwegs auf der Strecke geblieben zu sein, und Aurora hatte seine Erinnerung an Kalliope fast völlig verdunkelt. Denn (gleichfalls wie prophezeit) je mehr George Aurora liebte, desto vollkommener wurde sie in seinen Augen, und versuchte er, sich jene andere vollkommene Frau zu vergegenwärtigen, sah er nur helles Haar und blasse Haut. Von der dunkeläugigen Asiatin war lediglich eine Runzel im Gedächtnis seines Herzens zurückgeblieben, die eines Tages vielleicht zu einer Geschichte werden würde... das heißt, falls er die Zeit dazu fand.
    Vorläufig war er vollauf damit beschäftigt, diese neue vollkommene Frau, die im Auto neben ihm saß, im Bett neben ihm lag, kennenzulernen. Und ihre Eltern, insbesondere ihren Vater. Wie sich herausstellte, konnte Walter Smith George auf Anhieb gut leiden, und warum auch nicht? Schließlich war George die Antwort auf ein inbrünstiges Gebet.
     
    II
     
    Sie kamen am Spätnachmittag des 23. an. Walter wartete schon draußen auf der Veranda. Er strahlte wie ein

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