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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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könnte. Er ergriff ihre Hand, wunderte sich, als er festes Fleisch und Knochen spürte; strich mit den Fingerspitzen sanft über ihre Wange.
    »Was ist los?« fragte Myoko, vom ehrfürchtigen Ausdruck in Löwenherzens Gesicht überrascht und geschmeichelt. Er war in letzter Zeit etwas kühl gewesen, hatte mit Zärtlichkeiten ziemlich gegeizt; jetzt schien diese Phase vorüber zu sein. »Du bist wirklich«, sagte Löwenherz, nahm sie in die Arme und küßte sie. Und so blieben sie fast eine Stunde stehen, eng umschlungen, während die Geräusche der Party im Hof leise zu ihnen herüberklangen. Als sie sich endlich aus ihrer Umarmung lösten und langsam auf das Haus zugingen, war jede Erinnerung an Kalliope aus Löwenherzens Gedächtnis geschwunden. Er hatte diese Nacht niemanden außer Myoko gesehen, und er liebte sie.
     
    VI
     
    Als Kalliope den Arts Quad erreichte, war der Platz wie ausgestorben. Das war ungewöhnlich; wenn auch die Mehrzahl der nächtlichen Aktivitäten - insbesondere wilde Feten - in den Wohnheimen und Verbindungshäusern stattfand, so hätten doch bis weit nach Mitternacht zumindest vereinzelte Fußgänger über den Central Campus kommen müssen. Doch die Dame hatte Lust zu tanzen - zu tanzen, ohne dabei gesehen zu werden -, und so kamen alle, die sonst über den Quad gelaufen wären, plötzlich auf die Idee, einen anderen Weg zu ihrem jeweiligen Ziel zu nehmen. Sie hüpfte ausgelassen herum. Unter einer Baumgruppe in der nordöstlichen Ecke des Quads, wo Nebel und Schatten zwanglos ineinander übergingen, legte sie eine kleine Pause ein. Sie zog ihre Pfeife hervor, hielt den winzigen Talisman behutsam in ihrer makellosen Hand und blies. Kein Ton war zu hören, doch der Nebel unmittelbar vor ihr leuchtete auf und zog sich zu einem Phantombild von George zusammen.
    »So siehst du also aus«, sagte Kalliope lächelnd. Die äußere Erscheinung eines Menschen beeinflußte ihre Gefühle in keiner Weise; ihre Augen waren so beschaffen, daß sie jeden x-beliebigen uneingeschränkt anziehend finden konnte - ebenso wie es ihr kraft ihres besonderen Zaubers gelang, jedermann makellos schön zu erscheinen. Doch einen Blick auf ihn werfen wollte sie schon, und wenn auch nur aus reiner Neugier, ehe sie ihm leibhaftig begegnete.
    Als sie genug gesehen hatte, entließ sie die Erscheinung mit einem Wink und ging mit langen Schritten über den Rasen, bis sie den Gehweg erreichte, der die beiden Statuen miteinander verband. Andrew D. White warf ihr einen strengen Blick zu, als sie sich ihrer Robe entledigte und bis auf die Mokassins nackt dastand. Auch diese flogen davon, sobald sie zu tanzen begann, ein wildes, dionysisches Ballett, wie es noch nie auf einer Bühne dargeboten worden war. Schon bald kam Wind auf und seufzte eine Melodie zwischen den Ästen und unter den Dachtraufen. Der Wind trieb den Nebel nicht auseinander, und so konnte niemand sehen, was da vor sich ging, doch mehrere Kobolde hörten den Äolsgesang und fragten sich verwundert, was er bedeuten mochte. Zephyrs Großvater Hobart war hoch oben auf dem McGraw-Turm für die ganze Dauer der Vorstellung erstarrt und von einer Angst erfüllt, die er nicht zu ergründen vermochte. Der Wind blies auch um Georges Haus, und er hielt ebenfalls inne und lauschte - doch ohne Furcht.
    Wie lang der Tanz dauerte, ist ebenso ungewiß wie der Zeitpunkt von Kalliopes Ankunft, doch er endete um Mitternacht. Mit einem tollen Salto landete sie wieder zwischen den zwei Statuen, genau als die Uhr zu schlagen begann. Während das Glockengeläut den Tageswechsel verkündete, sah Kalliope zwischen Andrew und Ezra hin und her, als forderte sie sie heraus, sich zu rühren. Sie taten es nicht. Dann verstummten die Glocken, und sie sammelte rasch Gewand und Schuhe ein und rannte lachend den Weg zurück, den sie gekommen war.
    »Hier bin ich, George«, rief sie in die Nacht hinein. »Hier bin ich.«
     
    VII
     
    »Na, Blackjack, ist das traumhaft genug?«
    »Ich geb zu, es ist recht interessant.«
    Der Morgen des 26. graute, und Luther und Blackjack schritten durch eine weiße Welt, einen dichten Nebel, mit dem das Wetter der letzten drei Tage endgültig das Zeitliche segnete. Genau in diesem Augenblick begann die aufgehende Sonne, den Nebel wegzubrennen, aber einstweilen war es tatsächlich wie in einem Traum, so, als bewegten sie sich durch einen Tunnel auf eine verschwommene Welt zu, die nur langsam feste Umrisse annahm. Die beiden Tiere waren den größten Teil der

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