Fool on the Hill
Walter die Weide, »so’n Bursche könnte durchaus was von Geben-und-Nehmen gehört haben. Wozu sich über Kleinigkeiten in die Haare kriegen?«
»Aber wer ist das?« fragte Aurora.
»Warum fragst du ihn nicht einfach? Vielleicht wartet er bloß darauf, daß jemand kommt und ihn fragt.«
»Ach, Papa...«, wiederholte Aurora. Aber noch während sie sprach, begann sie, höher und höher zu steigen, schwang sich auf eine Luftströmung und sauste über den Teich hinweg, um den Ritter einzuholen.
II
Hobart war allein im Glockenturm und trank. Er war zum Senkschacht hinuntergestiegen, in dem sich früher die Gewichte befunden und das Uhrwerk - ehe es an einen Elektromotor angeschlossen worden war - in Gang gehalten hatten. Jetzt saß er auf einem Sims, ließ die Beine über dem schwarzen Abgrund baumeln (ein Sicherungsseil sollte ihn davor bewahren, im Vollrausch abzustürzen) und nahm immer wieder einen tiefen Zug aus einem Fingerhut-Humpen. Der Trank war eine Spezialmischung aus Alkohol, Haschischöl und vielerlei Zauberkräutern; in reichlichen Mengen genossen, verursachte er Visionen - oftmals von verlorenen Freunden oder geliebten Wesen. Hobart hielt sich für zu alt, um regelmäßig solchen künstlichen Phantasien zu frönen, aber alle Jubeljahre einmal ließ er Alter Alter sein und gönnte sich das Vergnügen.
Schon bald, nachdem er den Humpen geleert hatte, sank ihm der Kopf auf die Brust. Sein Schnarchen übertönte das Geräusch des Fingerhutes, der seinen Händen entglitten war und zweimal an der Wand des Schachtes schrappte, ehe er weit unten klirrend aufschlug. Hobart schwebte voll freudiger Erwartung ins Reich der Träume hinüber: Er erwartete, seine Frau Zee wiederzusehen (sie war vor knapp fünf Jahren tödlich verunglückt) - oder vielleicht auch die durch die Macht des Zaubertranks auf Koboldgröße geschrumpfte Jenny McGraw.
Diesmal aber war, zumindest anfänglich, überhaupt nichts zu sehen - nur Finsternis und die körperlose Stimme seiner Enkelin Zephyr, die fragte: Was ist so schlimm am Knochenacker? Was ist dort? Dann seine eigene Stimme, die antwortete: Alpträume. Alte Alpträume.
Dann das Geräusch von Regen, Donner, ein tobendes Gewitter, das ein kaum hörbares Gemurmel fast übertönte. Weitere Stimmen, diesmal aus einer fernen Vergangenheit.
Ratten! Ich sehe Ratten, da drüben hinter den Steinen!
Die Armbrüste nachladen! Mercutio, und ihr da, laßt die Kiste runter!
Hobart. . . ! Hobart, Vorsicht, die Versiegelung ist gesprungen!
»Nein«, flüsterte Hobart. Jetzt nahm eine Landschaft langsam Gestalt an. Er stand auf dem Knochenacker, rücklings an einen Grabstein gelehnt. Es war dunkel, es regnete, aber trotzdem konnte er den zweiten Stein zu seiner Linken klar und deutlich erkennen: eine schlichte, weiße, quadratische Marmorplatte, auf der ein einziges Wort eingemeißelt war:
PANDORA
»Fürchte, ich hab schlechte Nachrichten für dich«, sagte eine längst verblichene, aber in Hobarts Gedächtnis noch höchst lebendige Gestalt aus seiner Jugend und trat aus dem Dunkel hervor. »Und eine Warnung.«
»Julius«, sagte Hobart, als er ihn wiedererkannte. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Du kannst unmöglich hier sein, Julius.«
»Warum nicht?« fragte die Gestalt. »Bin ich vielleicht nicht tot? Seit mehr als einem Jahrhundert, länger sogar als diese Jenny McGraw. Es hätte dich doch nicht überrascht, sie zu sehen, oder?«
»Nicht hier«, beharrte Hobart. »Ich will mit dir nicht an diesem Ort reden.«
»An diesem Ort . . . Du möchtest den Knochenacker am liebsten vergessen, nicht wahr? Schön. Bloß, daß du’s nicht kannst, noch nicht. Vielleicht nie.«
»Der Krieg ist vorbei, Julius. Seit langem schon. Hier gibt’s nichts, was mich etwas anginge.«
»Mit mir ist es auch vorbei«, erwiderte Julius. »Seit langem schon. Aber ein bißchen Zaubertrank, und wumm!, bin ich wieder da, wenn auch nur in deinem Kopf. Zauberei kann eine Menge Dinge wiederbringen, Hobart. Insbesondere, wenn sie überhaupt nicht weg waren.« Kopfschüttelnd: »Nein. Nein.«
»Wir haben ihn nicht getötet, Hobart.«
»Nein, Julius.«
»Wir haben ihn unter die Erde gebracht, du, ich und die anderen, aber wirklich getötet haben wir ihn nicht.«
»Die Kiste, Julius«, zischte Hobart. »Keine Luft. Keine Nahrung. Kein Wasser. Nach hundert Jahren -«
»Mehr als hundert Jahre, Hobart. Aber die Vergangenheit läßt sich nicht immer so leicht begraben. Er hatte noch ziemlich
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