Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
For the Win - Roman

For the Win - Roman

Titel: For the Win - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
Vom Netzwerk:
Stell dir eine Ratte vor, die immer was zu essen kriegt, wenn sie auf einen Schalter drückt. Wie häufig benutzt sie den Schalter wohl?«
    »Immer, wenn sie Hunger hat, nehme ich an. Ich hatte mal Mäuse. Die wussten genau, wann es Essen gab. Sie rannten immer in die Ecke des Käfigs, wo ich es hinwarf.«
    »Genau. Was aber, wenn es nur bei jedem fünften Mal Drücken was zu essen gibt?«
    »Keine Ahnung – sie benutzen den Schalter seltener?«
    »Tatsächlich genauso häufig. Nach einer Weile kapieren die Ratten, dass sie fünfmal drücken müssen, um was zu essen zu bekommen, und immer, wenn sie Hunger haben, gehen sie zum Schalter und drücken fünfmal. Und was ist, wenn man einen Zufallsgenerator benutzt, sodass man manchmal bloß ein einziges Mal, manchmal aber auch hundertmal drücken muss?«
    »Sie geben es auf, oder?«
    »Falsch! Sie drücken wie verrückt, Tag und Nacht. Wie jemand, der ein bisschen was in der Lotterie gewonnen hat und jetzt jede Woche spielt, bis an sein Lebensende. Die Ungewissheit macht einen verrückt. Nichts macht einen so abhängig wie das. Matthew meint, das ist der wichtigste Aspekt jedes Spieldesigns: An einem Tag besiegt man einen richtig schweren NSC mit einem Glückstreffer, er droppt ein unglaublich wertvolles Item, und man hat in zehn Sekunden mehr als in der ganzen Woche verdient. Von da an muss man immer wieder dahin, schauen, ob wieder so ein Gegner da ist, hoffen, dass es noch einmal passiert.«
    »Es ist aber zufällig, oder?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Matthew hält es zwar für Zufall, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass die Spielefirma die Chancen absichtlich manipuliert, sodass man gerade dann gewinnt, wenn man eigentlich schon aufgeben wollte.« Er zuckte die Achseln. »Zumindest würde ich es so machen.«
    »Wenn es zufällig ist, sollte es keinen Unterschied machen, was du tust und wo du’s tust. Wenn du eine Münze wirfst und zehnmal hintereinander Kopf kommt, hast du beim elften Mal genau die gleiche Chance für Kopf wie vorher, als ständig Zahl gekommen ist. Es steht immer fifty-fifty.«
    »Matthew erzählt so was die ganze Zeit. Er meint, auch wenn es unwahrscheinlich sein mag, zehnmal in Folge Kopf zu werfen, hat jeder Wurf für sich genommen die gleiche Chance.«
    »Klingt so, als ob er sich mit Mathe auskennt.«
    »Tut er. Du solltest ihn mal kennenlernen.« Er schluckte. »Das heißt, wenn er je wieder aus dem Gefängnis kommt.«
    »Darum müssen wir uns unbedingt kümmern.«
    In den nächsten zwei Stunden redete sie mit sechs weiteren Anruferinnen, und jedes Mal versprach sie ihren Hörerinnen vor den Werbepausen die spannendste Geschichte ihres Lebens, wenn sie nur dranblieben. Zuerst hörte Lu aufmerksam zu, aber sein Kopf schmerzte, und er war so müde, dass er schließlich auf seinem Stuhl zusammensackte und döste. Nur gelegentlich wurden seine Träume von Jie unterbrochen, die die törichten jungen Arbeiterinnen Südchinas schalt.
    Er erwachte durch ein paar Tropfen Eiswasser auf dem Gesicht, rang nach Atem, setzte sich auf und öffnete die Augen gerade noch rechtzeitig, um Jie lachend wegtänzeln zu sehen. Sie strahlte vor Freude. »Ich liebe meinen Job!«, rief sie. »Du bist als Nächster dran, mein Hübscher.«
    Er schaute auf sein Handy und stellte fest, dass er eine ganze Stunde verschlafen hatte. Sein Magen verlangte nach Nahrung. Jie hatte ihre Socken ausgezogen und die oberen zwei Knöpfe ihrer roten Bluse geöffnet. Ihr Haar war offen und das Make-up verschmiert. Anscheinend amüsierte sie sich blendend.
    »Was … « Sein Kopf schmerzte, und er hatte einen Geschmack im Mund, als hätte ihn irgendwas als Toilette benutzt.
    »Na los«, sagte sie, kam wieder näher und rückte ihm das Headset zurecht. »Es ist gleich acht. Da habe ich immer am meisten Zuhörerinnen. Sie sind dann fertig mit dem Abendessen und dem Tratsch und sitzen alle auf ihren Betten vor ihren Computern und Handys. Und ich kündige dich seit Stunden an. Jedes hübsche Mädchen im Perlflussdelta wartet nur darauf, dich kennenzulernen. Bist du bereit?«
    »Ich – ich … « Er hatte einen Knoten in der Zunge. »Ja!«, brachte er schließlich heraus.
    »Dann los!«, rief sie, flitzte hinter den Tisch und nahm hastig auf ihrem Stuhl Platz. »Wir gehen auf Sendung in zehn, neun, acht … «
    Er schob sein Mikro zurecht, griff nach dem Wasserglas, verschluckte sich beim Trinken, versuchte, das Wasser nicht wieder auszuspucken, verschluckte sich noch schlimmer und

Weitere Kostenlose Bücher