For the Win - Roman
der Gilde meint, in der Psychologie heißt das partielle Verstärkung.«
Sie hob den Finger. »Einen Moment«, sagte sie, klickte und nahm einen weiteren Anruf entgegen.
Dieses Mädchen klang eher wütend als traurig. »Eine Freundin von mir hat Verkäuferinnen für Kräutermedizin gesucht«, begann sie, und Jie verdrehte gelangweilt die Augen.
»Erzähl weiter«, forderte Jie sie auf. »Klingt nach einem tollen Geschäft.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Dachteichauch«,sagtedieAnruferin.Sieklang,alswürde sie am liebsten etwas kaputt schlagen. »Zuerst dachte ich, es geht einfach nur um die Medizin, und ich fand das gut, weil meine Mutter mir auch immer Heilkräuter gegeben hat, als ich klein war. Ich dachte, dass viele Mädchen hier Kräuter kaufen würden, schon weil sie Heimweh haben.«
»Klar«, warf Jie ein. »Wer denkt nicht gern an seine Mami?«
»Genau das hab ich auch angenommen! Und meine Freundin meinte, ich könne damit viel Geld verdienen. Aber nicht mit dem Verkauf selbst – für den sollten die Leute unter mir in der Hierarchie zuständig sein, ich aber nur für das Franchise. Wie ein richtiger Boss!«
»Wer wäre nicht gern mal Boss.«
»Genau! Sie sagte, sie wolle mich für die Führungsebene anwerben. Und ich solle dann meinerseits zwei Freundinnen als Verkäuferinnen anwerben. Die müssten mir dann Geld zahlen, um eigene Verkäufer anzuwerben, und alle würden die Kräuter von mir beziehen, und ich bekäme einen Teil ihres Umsatzes. Wenn meine beiden Verkäuferinnen also selbst zwei Verkäuferinnen anwarben – und die auch wieder zwei und so weiter – , würden in ein paar Tagen Hunderte von Leuten für mich arbeiten! Und wenn ich von jeder nur ein paar Yuan bekäme, würde ich jeden Monat Unsummen verdienen, einfach deswegen, weil alles über mich liefe. Zumindest hat sie mir das alles so erklärt.«
»Ein sehr großzügiges Angebot«, bemerkte Jie, und obwohl es klang, als ob sie scherzte, lächelte sie nicht.
»Ja, nicht? Dachte ich auch! Und alles, was ich tun müsse, sei, ihr eine kleine Franchisegebühr zu zahlen. Sie werde mich dann mit Kräutern, Verkaufstaschen und allem Nötigen versorgen. Sie sagte, sie werbe mich an, weil ich aus Fujian stamme, so wie sie, und sie mir einen Gefallen tun wolle. Sie meinte, ich solle Mädchen anwerben, die noch auf dem Land wohnen, alte Schulfreundinnen oder so, weil die das Geld am dringendsten bräuchten.«
»Wieso sollten Mädchen auf dem Land wohl Kräutermedizin kaufen? Haben die nicht ihre Mütter?«
Das unterbrach den wütenden Redefluss der Anruferin. »Daran habe ich gar nicht gedacht«, gab sie kleinlaut zu. »Es klang so, als würde ich eine Heldin werden, als könnte ich der Fabrik entkommen und reich werden. Meine Freundin sagte, sie wolle in ein paar Monaten kündigen und sich eine eigene Wohnung suchen. Ich hab davon geträumt, aus dem Schlafsaal rauszukommen, Geld nach Hause zu schicken und … «
»Du hast die ganze Zeit über das Geld und alles, was du dir davon kaufen kannst, nachgedacht, aber ob dieses ganze Geschäftsmodell überhaupt funktionieren kann, die Frage hast du dir nicht gestellt?«
Wieder Stille. »Stimmt«, sagte sie schließlich. »Ich muss zugeben, das habe ich nicht.«
»Und dann?«
»Zuerst lief es ganz okay. Ich habe das Franchise ein paarmal weiterverkauft, aber die Verkäuferinnen hatten Schwierigkeiten, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Dann begann meine Freundin, nach ihren Prozenten zu fragen. Als ich ihr sagte, ich hätte selbst kein Einkommen, weil meine Verkäuferinnen mit der Zahlung im Rückstand seien, war sie auf einmal wie verwandelt.«
»Erzähl weiter.« Jies Augen waren auf die Wand hinter Lus Kopf gerichtet. Sie schien in einer anderen Welt zu sein, bei dem Mädchen und ihren Problemen.
»Sie wurde sehr wütend. Sie sagte, ich sei eine Verpflichtung eingegangen. Sie selbst sei ihren Franchisegebern auch etwas schuldig. Also müsse ich sie bezahlen, damit sie ihre Schulden abtragen kann. Sie gab mir das Gefühl, sie hintergangen und eine unglaubliche Chance vermasselt zu haben. Sie sagte auch, ich sei eben nur ein einfaches Mädchen vom Land und tauge nicht zur Geschäftsfrau. Sie rief mich den ganzen Tag über an, immer wieder, und schrie: Wo ist mein Geld?«
»Was hast du dann gemacht?«
»Irgendwann bin ich zu ihr gegangen. Ich habe geweint und ihr gesagt, dass ich nicht mehr weiter weiß. Und sie meinte: Du weißt sehr wohl, was zu tun ist, dir
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