For the Win - Roman
mehr darum, in der nächsten Zeit ohne jeden Cent dazustehen. Er war nicht mal mehr wütend auf die Goldfarmer. Die ständige Gereiztheit, der Ärger und die Wut, die das Klima in der Kommandozentrale bestimmten, fielen von ihm ab, und auch sein sechster Sinn schien sich verabschiedet zu haben. Die Welt drehte frei und unkontrolliert ihre Bahnen, und er konnte absolut nichts dagegen tun. War das nicht großartig?
Es gab einen alten Song, in dem es hieß: Freedom’s just another word for nothing left to lose – Freiheit heißt nur, dass man nichts mehr zu verlieren hat , und mit einem Mal wusste Connor genau, was damit gemeint war.
Mit acht Jahren hatte er gedacht, dass es cool wäre, sich später den Lebensunterhalt mit der Arbeit an Videospielen zu verdienen. Es war eine dieser albernen Kindheitsfantasien gewesen, ähnlich wie der Wunsch, Astronaut oder Ballerina, Cowboy oder Tiefseetaucher zu werden. Die meisten Menschen kamen aus dem Alter irgendwann heraus und taten dann letztendlich irgendwas Normales und Langweiliges. Connor aber hatte seinen Traum verfolgt, hatte mit den merkwürdigsten Mitteln einen Weg in die Welt der Spiele gefunden und sich selbst darin eingesperrt. Bis heute.
Nun hatte ihn der Achtjährige, der ihn seinerzeit auf die Reise geschickt hatte, endlich von seiner Pflicht entbunden und in die Freiheit entlassen.
Er duschte, kühlte seine Nase noch ein wenig und zog ein T-Shirt und ein Paar Shorts an. (Die Shorts hatte er sich mal für einen Urlaub auf den Bahamas gekauft, den er dann aber fast ausschließlich online in seinem Zimmer verbracht hatte.) Danach trat er vor die Tür.
Vor ihm lag Atlanta. Sieben Jahre lebte er jetzt schon in dieser Stadt, war ins Kino oder essen gegangen und hatte seine Eltern herumgeführt, wenn sie ihn besuchten. Er hatte aber nie wirklich in Atlanta gelebt . Es war so, als wäre er seit sieben Jahren auf Besuch hier, auf einer Durchreise, die sich wider Erwarten in die Länge gezogen hatte.
Er zog die Flip-Flops an, die er normalerweise trug, wenn er die Post reinholte, und ging los.
Er tauchte in die nachmittägliche Hitze Atlantas ein und atmete die schwüle Luft, die so feucht war, als würde sie gleich an seinem Gaumen kondensieren und auf seine Zunge tropfen. Als er das Ende seiner Einfahrt erreicht hatte, musterte er die Straße, in der er all die Jahre gewohnt hatte: große Häuser, alte Bäume, unbenutzte Basketballkörbe. Dann setzte er sich wieder in Bewegung. Niemand außer Putzfrauen und Gärtnern ging in diesem Viertel je zu Fuß, was Connor unbegreiflich fand. Denn die alten Bäume verbreiteten einen wunderbaren Duft, ringsum zwitscherten Vögel, und er entdeckte sogar eine Schnecke, die über den Gehweg kroch. In einer halben Stunde sah Connor mehr interessante Sachen als im ganzen letzten Monat.
Was für ein Gefühl! Diese Leichtigkeit in seinem Kopf, die Freiheit in seiner Brust. Alte Schmerzen in seinem Rücken und in seinen Schultern, die ihm schon so lange zu schaffen machten, dass er sie fast vergessen hatte, verschwanden auf einmal. Das war ähnlich wohltuend wie die Stille, die sich plötzlich einstellt, wenn man den Kühlschrank abschaltet.
Er schwitzte ganz schön, aber das machte ihm nichts aus. Dadurch empfand er die gelegentliche Brise erst recht als angenehm.
Schließlich verlangte seine Blase von ihm umzukehren. Also schlenderte er wieder heim und winkte den argwöhnischen Nachbarn zu, die ihn, halb von den Vorhängen verborgen, durch ihre großen Wohnzimmerfenster beobachteten. Kaum, dass er eintrat, hörte er sein Handy. Ein flüchtiges Gefühl der Sorge durchzuckte ihn wie ein Blitz, doch er zwang sich zur Ruhe und ging zuerst ins Bad. Wer auch immer ihn gerade anrief: Er würde schon eine Nachricht hinterlassen. Na also, der AB schaltete sich bereits ein. Er musste jetzt erst mal pinkeln.
Während er pinkelte, begann sein Handy erneut zu klingeln.
Er ging in die Küche, wühlte im Kühlschrank und fand einen Laib Brot. (Nie schaffte er es, ein ganzes Brot zu vertilgen, bevor es schimmelte, deshalb kaufte er immer gleich ein Dutzend Brote und fror sie ein.) Er schnitt zwei Scheiben ab und schob sie in den Toaster. Dazu gab es Erdnussbutter aus dem Naturkostladen, knusprig und ohne Zusätze. Er nahm ein Messer (das Handy klingelte wieder) und verrührte das Öl, das sich obenauf angesammelt hatte, mit der Erdnussmasse darunter. Er hatte auch Honig da, der war aber kristallisiert. Kein Problem: zwanzig Sekunden in der
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