For the Win - Roman
alles zu verkaufen, die Webblys zu verlassen und sich mit dem ganzen Geld zur Ruhe zu setzen. Er geriet aber weder jetzt noch bei anderer Gelegenheit in Versuchung. Von jeher hatte er gewusst, dass man reich werden konnte, indem man auf anderen Menschen herumtrampelte, sie wie Schwächlinge behandelte und ausnutzte. Er hatte das aber nie über sich gebracht.
Und dennoch tat er es gerade – aber das war etwas anderes. Sein kleines finanzielles Spiel konnte ein gutes Ende nehmen, wenn alles nach Plan lief. Und jetzt war es an der Zeit, genau das herauszufinden.
Justbob nahm seinen Anruf entgegen. Sie sprach zwar nur gebrochen Englisch, aber das war immer noch besser als ihr Hindi, das bloß aus Kampfbefehlen und Verwünschungen bestand. Als er ihr sagte, er müsse mit Schwester Nor sprechen, bat sie ihn, sich kurz zu gedulden.
Im Hintergrund hörte er Schwester Nor, die offenbar ein wichtiges Gespräch führte, so mühelos zwischen Chinesisch und Englisch wechseln, dass es ihn an seine Freunde an der Universität erinnerte: Sie hatten ihr Englisch auch immer gerne mit Hindi gespickt. Ihre scheinbar harmlosen Unterhaltungen waren immer voller Wortspiele und obskurer schmutziger Witze gewesen.
Die Uhr in der Ecke seines Bildschirms zeigte fünf Uhr früh, und draußen hörte er schon die Vögel zwitschern. Im Nachbarraum kämpfte Malas Armee unermüdlich, um den Streik zu sichern. Schichtweise schliefen die Soldaten auf dem Boden. Und draußen waren fünfzig oder sechzig Stahl- und Textilarbeiter mit Mitgliedschaftsanträgen unterwegs zu anderen Streikenden in Dharavi, um auch die Arbeiter in den kleinen fünf- bis zehnköpfigen Unternehmen zu erreichen.
Beinahe wäre er eingeschlafen. Wie lange war es her, dass er mehr als zwei, drei Stunden geschlafen hatte? Sicher Tage. Er riss den Kopf hoch und zwang seine Augen wieder auf, und auf einmal stand Yasmin in ihrem Hidschab in der Tür – mit dunklen Rändern um die Augen und tiefen Sorgenfalten um den Mund. Sie hatte ihren lathi dabei.
»Was gibt’s, Yasmin?«, fragte er.
Sie biss sich auf die Lippen. »Mala ist verschwunden. Seit Stunden hat sie niemand mehr gesehen. Seit zwölf oder vierzehn Stunden.«
Er wollte gerade etwas erwidern, als Schwester Nor sich am Telefon meldete. »Ashok, tut mir leid, dass du warten musstest.«
Er schaute erst Yasmin an, dann seinen Bildschirm. »Einen Moment«, sagte er ins Telefon.
»Yasmin, wahrscheinlich ist sie nur nach Hause schlafen gegangen … «
Yasmin schüttelte nachdrücklich den Kopf. Er spürte einen Anflug von Angst.
»Ashok?«, fragte Schwester Nor an seinem Ohr.
»Komm rein«, sagte er zu Yasmin. »Und schließ die Tür.«
Er stand auf, bot Yasmin seinen Platz an und hockte sich neben ihr auf den Boden. Dann schaltete er den Lautsprecher an seinem Telefon ein.
»Nor«, sagte er. Er kam sich immer albern vor, diese Frau mit Schwester anzureden, auch wenn die Webblys es mit derselben Hochachtung taten, mit der sie General Robotwallah sagten. »Yasmin ist gerade bei mir. Sie sagt, dass Mala seit ein paar Stunden verschwunden ist.«
Es gab eine kurze Pause. »Ashok«, erwiderte Nor schließlich, »das sind schreckliche Neuigkeiten. Ich dachte, du rufst wegen der anderen Sache an … «
Er schaute zu Yasmin hinüber, die ihn nicht aus den Augen ließ. Er redete nie über seine Arbeit, doch alle wussten, dass er und Nor was im Schilde führten.
»Richtig«, sagte er. »Ich muss mich auch wegen der anderen Sache mit dir unterhalten. Yasmin sagte mir aber gerade, dass Mala verschwunden ist.«
Schwester Nor hörte den Ernst in seiner Stimme. Sie atmete tief durch und sprach geduldig weiter: »Du kennst Dharavi besser als ich. Was, glaubst du, ist passiert?«
Er nickte Yasmin zu. »Ich glaube, dass Banerjee sie in seiner Gewalt hat«, warf sie ein. »Ich glaube, er wird ihr was antun – wenn er das noch nicht getan hat.«
Die Stimme des Mächtigen Krang schaltete sich ein. »Ich hab Banerjees Telefonnummer. Von einem unserer Leute in Guzhen. Er hat uns das komplette Adressbuch seines Bosses gemailt.«
Ashok merkte, dass er die Fäuste geballt hatte. Er hatte Banerjee bloß einmal getroffen, doch das reichte ihm. Der Mann machte den Eindruck, als wäre er zu allem fähig – ein Alien, das in seinen Mitmenschen bloß eine Gelegenheit zum Geldmachen sah. Yasmin machte große Augen.
»Du willst ihn anrufen?«
»Klar«, meinte der Mächtige Krang gelassen, fast etwas flapsig, so wie in den Webbly-Videos,
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