For the Win - Roman
verteidigen. Die jungen Frauen hatten sich erhoben und um sie geschart, sie angefeuert und ein wildes Geheul ausgestoßen, das von der Decke zurückgeworfen wurde und ihr das Herz wärmte, ihnen allen Mut gab, bis die Sicherheitskräfte sich schließlich zurückzogen. Sie hatten die ganze Fabrik übernommen, die Tore blockiert und alles zum Erliegen gebracht. Dann war auf einmal jemand von der malaysischen Textilarbeitergewerkschaft vor Ort gewesen und hatte ihnen Mitgliedsanträge gereicht, irgendwer hatte sie zur Streikführerin ernannt, und dann …
Dann war alles um sie herum zusammengebrochen. Die Polizei war gekommen, hatte sie eingekesselt und aufgefordert, sich zurückzuziehen, wieder an die Arbeit zu gehen, diesen Unfug zu beenden, ehe noch jemand verletzt würde. Sie schrien ihre Anweisungen durch ein Megafon, starrten sie unter ihren Schutzhelmen an, trommelten mit den Schlagstöcken auf ihre Schilde und setzten Tränengas gegen sie ein.
Ihre Reihen wankten und lösten sich auf. In einer Gasse nahe der Fabrik, unter den Augen neugieriger Kinder, formierten sie sich aber neu, und die Frauen von der Gewerkschaft spannten die Kinder ein, um Milch kaufen zu gehen – Kuhmilch, Ziegenmilch, was sie eben kriegen konnten – , und wuschen den hustenden, würgenden Frauen damit die Augen aus. Das CS -Gas war fettlöslich, und ihre Augen tränten danach zwar noch, sie konnten aber wenigstens wieder sehen. Auch das Husten ließ nach. Dann reichte auf einmal jemand eine Tasche Atemmasken mit Aktivkohlefiltern herum und jemand anderes eine zweite Tasche mit Chlorbrillen, und mit ihren Hidschabs über den Masken sah es so aus, als ob die Frauen große Schnauzen statt Nasen besäßen. Dann begaben sie sich wieder in Formation und marschierten Parolen skandierend zurück.
Die Polizei setzte abermals Tränengas ein, doch diesmal schafften es die Streikführer, die Leute in Formation zu halten. Sie schickten tapfere Frauen nach vorn, die die Gaskanister packten und wieder hinter die Reihen der Polizei warfen. Kurz sah es so aus, als würde die Polizei sie angreifen, aber die Streikenden hatten mit ihren Handys die nationale Firewall umgangen, Bilder ins Netz gestellt und an verschiedene Menschenrechtler geschickt, sodass Arbeitsministerium wie Justizministerium Anrufe von der ausländischen Presse bekamen. Und die Polizei zog sich zurück.
Die ersten Scharmützel waren geschlagen, und die Streikenden stellten sich auf eine lange Belagerung ein. Niemand kam in die Fabrik rein oder aus ihr raus, ohne dass Hunderte junger Frauen ihm eine Predigt hielten, Informationsmaterial über ihre Arbeitsbedingungen aufdrängten oder ihren Forderungskatalog durchs Autofenster schoben. Ein paar Ersatzkräfte schafften es zwar in die Fabrik, wurden aber in Kämpfe verwickelt und zogen sich wieder zurück. Ein Lastwagenfahrer, der auch zur Gewerkschaft gehörte, weigerte sich, die Streikfront zu durchbrechen und seine Ladung aufzunehmen. Stattdessen wartete er einfach am Hafen.
Die Tage wurden zu Wochen, und sie hielten ihre Familien so gut es ging mit Streikgeld über Wasser, was sich auf etwa ein Drittel ihres üblichen Lohns belief. Die Bosse der Fabrik, der Tochtergesellschaft eines niederländischen Unternehmens, litten jedoch ebenfalls unter der Situation. Die Gewerkschafter erklärten den Frauen, dass das Mutterunternehmen seinen Aktionären bald den Quartalsbericht vorstellen musste, und die würden wissen wollen, weshalb so eine große Fabrik wie ihre geschlossen blieb, anstatt Gewinne zu machen. Immer wieder versicherten sie den Streikenden, dass spätestens dann ihre Forderungen erfüllt werden würden. Dann könnten sie den Streik beenden und alle zurück an die Arbeit gehen.
Also hielten sie durch, versuchten guter Dinge zu bleiben, bis, ja bis …
Die Fabrik schloss.
Schwester Nor fand es eines Abends heraus, als sie gerade Theater of War VII spielte, ein Spiel, das sie seit ihrer Kindheit gemocht hatte. Eine Freundin aus ihrer Gilde hatte einen Bruder, der auf dem Heimweg von der Schule an der Fabrik vorbeigekommen war, und er hatte gesehen, wie sie die Maschinen auf große Lastwagen verluden.
Sie kontaktierte alle, die sie kannte – Schnell, zur Fabrik! – , doch bis sie dort waren, war sie schon verlassen. Und die Tore waren mit Ketten gesichert. Niemand von der Gewerkschaft kam mehr vorbei. Niemand beantwortete ihre Anrufe.
Und die Frauen, die sie ihre Schwestern genannt hatte, die Kolleginnen, die sie gerettet
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