For the Win - Roman
ihr sehr gefiel. Und die Gewerkschaft war mit rasender Geschwindigkeit gewachsen. Goldfarmer waren leicht anzuwerben: Sie arbeiteten zu erbärmlichen Bedingungen und wurden von Spielbetreibern und reichen Spielern gleichermaßen gehasst. Sie hatten bereits gelernt, im Team zu arbeiten, und ihre eigenen kleinen Gilden gegründet. Und sie kannten sich besser im Netz aus, als ihre Bosse es jemals würden.
Ein Jahr nach der Gründung hatten die IWWWW über 20000 Mitglieder in sechs Ländern. Alle zahlten sie Abgaben, und die Streikkasse war prall gefüllt. Was gut war, denn ausgerechnet in Shenzhen, wo Schwester Nor am wenigsten damit gerechnet hätte, war es nun zu einer Arbeitsniederlegung gekommen.
Und doch war es geschehen! Der Boss, ein Kerl namens Wing, hatte Arbeiter in drei seiner »Fabriken« eingeschlossen – Internetcafés, die er für sein stetig wachsendes Arbeiterheer übernommen hatte. Dort sollten sie eine Schwachstelle in Mushroom Kingdom ausnutzen, einem Mario-basierten MMO , das eine riesige Fangemeinde in Brasilien besaß. Einer seiner Spieler hatte einen Weg gefunden, die Goldmenge, die sie aus den Dungeons holten, zu verdreifachen, und Boss Wing wollte jeden einzelnen Penny aus dem Sploit herausquetschen, ehe Nintendo-Sun davon Wind bekam.
Nor hatte mehrere In-Game-Identitäten, über die man sie auf dem Laufenden hielt, und ehe sie sich’s versah, quoll ihr Handy vor Neuigkeiten geradezu über. Die Arbeiter hatten das Management und die Wachen überwältigt, waren nach draußen gestürmt, die Mauern und Strommasten hochgeklettert und hatten die Verbindungsleitungen der Cafés gekappt. Dann hatten sie sich davor versammelt und spontane Slogans intoniert – im Wesentlichen Abwandlungen ihrer Schlachtrufe aus dem Spiel. Und jetzt wollten sie wissen, was sie als Nächstes tun sollten.
»Wir haben einen wilden Streik«, sagte Schwester Nor zu ihren Lieutenants, dem Mächtigen Krang und Justbob. Ersterer war ein kleiner Chinese mit gegeltem lila Bürstenschnitt, Letztere eine Tamilin in einem wunderschönen, makellosen Sari und Seidenpantoffeln. Früher hatte sie zu einer der berüchtigtsten Mädchengangs Asiens gehört, was sie für drei Jahre ins Gefängnis gebracht hatte. »In Shenzhen sind sie auf die Straße gegangen.« Sie leitete ihnen die Tweets, Blips und Nachrichten weiter und zeigte es ihnen auf dem Smartphone.
»Ist ja Wahnsinn!« Der Mächtige Krang tanzte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. »Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn, das ist … «
»Herrlich«, sagte Justbob, legte ihm die Hände auf die Schultern und holte ihn auf den Boden zurück. »Und höchste Zeit. Ich hab es ja gesagt, die ganze Zeit schon: Sobald man Geld für eine Streikkasse sammelt, wird früher oder später auch jemand streiken. Und, ta-daa, jetzt ist es soweit. Uns steht noch eine aufregende Nacht bevor.«
Sie eilten ins Hauptquartier im Hinterzimmer des Headshot . Dort ließen sie sich auf ihre Stühle fallen, gingen online und verbreiteten in sämtlichen Welten die Nachricht vom ersten Streik ihrer 20000 Mitglieder.
Schwester Nor begann, einen Plan zu entwerfen:
1. Die Neuigkeiten an der Basis verbreiten.
2. Streikposten innerhalb der Spielwelten platzieren, damit Boss Wing keine Streikbrecher und keinen Ersatz an den Start bringen kann.
3. Die Streikführer ans Telefon kriegen und mit ihnen über Menschenrechtsanwälte, Streikgeld und Unterkunft für diejenigen Arbeiter reden, die nichts als ihre Betten in den Schlafsälen gehabt haben.
4. Bildmaterial und Live-Meldungen von den Streikenden zu den Menschenrechtlern bringen und der Presse Interviews geben.
Sie hatte das im echten Leben schon aus der anderen Perspektive erlebt: als Anführerin eines Streiks. Als die Bosse ihrer Weberei in Taman Makmur Lohnkürzungen verkündet hatten, weil ihr größter europäischer Abnehmer seine Bestellungen zurückgefahren hatte, hatte sie das Fließband verlassen. Es war jedes Jahr das Gleiche, aber es machte sie so wütend: Wenn die Absätze stiegen, bekamen die Arbeiter keinen Bonus. Wenn sie aber einbrachen, dann mussten sie alle die Bürde tragen. Genug war genug. Sie hatte sich mitten in die Fabrik gestellt und ihre Bosse die gierigen, amoralischen Schweinehunde genannt, die sie waren, und als die Sicherheitskräfte kamen, um sie abzuführen, blieb sie standhaft und stolz und rechnete schon damit, für ihren Ungehorsam geschlagen zu werden.
Stattdessen waren ihre Kolleginnen aufgesprungen, um sie zu
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