Forbidden
beide bewusst, wie gefährlich die Situation ist.
Am Abend gehe ich zu ihr ins Zimmer, sobald Tiffin und Willa ins Bett gebracht sind, aber selbst da ist es für uns zu riskant. Siedreht sich am Schreibtisch zu mir, ihre langen Haare streichen über die aufgeschlagene Seite in ihrem Schulbuch, und sie lächelt mir zu, deutet dann auf die geschlossene Tür auf der anderen Seite des Gangs: Die beiden Kleinen sind noch nicht eingeschlafen, und als sie es endlich sind, streunt Kit durchs Haus, sucht nach Essen und zappt durchs Fernsehprogramm, und wenn er endlich im Bett ist, schläft Maya schon. Sie ist meistens genauso geschafft wie ich.
Auch die Ferienwoche zum Schulhalbjahr bringt keine Erleichterung. Es regnet die ganze Zeit, Tiffin und Willa streiten ständig miteinander, weil sie nicht rauskönnen und wir kein Geld für irgendwelche Ausflüge oder Kino haben, und Kit schläft den ganzen Tag, um dann mit seinen Freunden loszuziehen und erst am frühen Morgen nach Hause zu kommen. Danach geht die Schule wieder los und damit die übliche Routine. Eines Abends, als ich mal wieder ganz ruhelos bin und nicht weiß, wohin mit mir, ziehe ich spät noch meine Laufschuhe an, jogge den ganzen Weg bis zum Ashmoore Park, klettere im Mondlicht über den Zaun und renne dann über die weite Wiese. Schließlich finde ich Mayas Ort, ihre Oase, aber mir bringt sie keinen Frieden. Vor dem Stamm einer riesigen Eiche falle ich auf die Knie, balle meine rechte Hand zur Faust und fahre dann mit meinen Knöcheln über die harte, raue Rinde, wieder und immer wieder, bis sie aufgeschürft und blutig sind.
»Lochie braucht ein Pflaster«, verkündet Willa am nächsten Abend Maya, der Krankenschwester unserer Familie, kaum dass sie durch die Haustür gekommen ist. Sie wirkt todmüde. »Ein großes«, fügt Willa noch hinzu.
Maya lässt Rucksack und Jacke auf den Boden fallen und lächelt erschöpft.
»Harter Tag gewesen?«, frage ich.
»Drei Tests.« Sie verdreht die Augen. »Und dann auch noch Sport, gerade als ein Hagelschauer kam.«
»Ich helfe Lochie beim Abendessenmachen«, sagt Willa stolz. Sie kniet auf einem Küchenhocker und legt Tiefkühlpommes auf das Blech. »Willst du auch mithelfen, Maya?«
»Ich glaube, das schaffen wir auch gut zu zweit«, sage ich hastig, während Maya sich auf einen Stuhl fallen lässt. Sie streicht sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und schickt mir heimlich einen Kuss durch die Luft.
»Maya, schau mal! Ich hab meinen Namen in Großbuchstaben aus Pommes geschrieben!«, brüstet sich Willa, die merkt, dass Maya und ich Blicke wechseln, und nicht ausgeschlossen sein will.
»Du bist mein kluges Mädchen.« Maya steht auf und nimmt Willa auf den Schoß. Gemeinsam beugen sie sich über das Backblech und versuchen, Mayas Namen zu legen. Ich betrachte sie einen Augenblick. Mayas lange Arme umfassen Willas kurze. Willa plappert vor sich ihn und erzählt von ihrem Tag in der Schule, während Maya aufmerksam zuhört und immer die richtigen Fragen stellt. Sie haben die Köpfe so nahe zusammengesteckt, dass sich ihre langen Haare vermengen. Das Rotbraun von Maya und das Goldblond von Willa. Beide haben sie dieselbe blasse Haut, dieselben blauen Augen, dasselbe Lächeln. Willa wirkt kräftig und voller Lebensfreude, sie plappert und lacht in einem fort. Maya dagegen wirkt zerbrechlicher, zarter, ätherischer. In ihren Augen liegt eine Traurigkeit, ein Ernst, der sie nie verlässt. Für Maya hatdie Kindheit schon vor vielen Jahren geendet. Als sie mit Willa auf dem Schoß so dasitzt, denke ich: Ältere und jüngere Schwester. Mutter und Tochter.
»Man kann Maya auch gut mit Pommes schreiben«, erklärt Willa wichtig. »Das M sieht fast aus wie ein umgedrehtes W. Aber runde Buchstaben gehen gar nicht!«
»Wie gut, dass ich kein B im Namen habe!«, lacht Maya. »Aber du hast recht, Willa! Und was hast du da vorhin von Lochan erzählt? Er braucht ein Pflaster?«
Mir fällt auf, dass ich mechanisch die Frühlingszwiebeln immer weiter geschnitten habe, seit Maya hereingekommen ist. Vor mir liegt ein Berg grünes und weißes Konfetti.
»Lochie hat sich die Hand verletzt.« Willa stellt das ganz sachlich fest, während sie sich immer noch auf die Pommes konzentriert.
»Mit dem Messer?« Maya sieht mich ernst und besorgt an.
»Nein, nur aufgeschürft«, sage ich, winke ab und lächle beschwichtigend zu Willa.
Willa blickt zu Maya. »Er lügt«, flüstert sie ihr zu, als handle es sich um eine
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