Forbidden
der die beiden Kleinen provoziert, indem er sein Essen nicht anrührt, aber dafür sämtliche Jaffa Cakes aufisst, die als Nachspeise gedacht waren. Ich lasse sie diesmal auch alle in Ruhe, weil ich Angst habe, wenn ich anfange, mich aufzuregen, werde ich kein Ende mehr finden können, und vielleicht wird dann alles in die Brüche gehen. Die Risse werden sich jedenfalls deutlich zeigen. Im Badezimmer gerade eben bin ich richtig in Panik geraten. Ich hatte Angst, große Angst, wenn Maya mir zu nahe käme, dann würde sie es spüren; würde sie merken, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist.
Aber nachts kann ich nicht schlafen, ich werde von tausend Ängsten geplagt. Meine Erschöpfung wird immer größer, der Druck in der Schule, die ständige Plackerei mit den Alltagssorgen und dazu dann noch, dass Maya und ich uns niemals unsereZuneigung offen zeigen dürfen, weder in der Öffentlichkeit noch zu Hause, das alles gibt mir das Gefühl, langsam zu ersticken, die Last wird mir allmählich zu groß. Werden wir jemals wie ein normales Paar leben können? Zusammenleben, in der Öffentlichkeit Händchen halten, uns an einer Straßenecke küssen? Oder werden wir dazu verurteilt sein, ein Leben im Verborgenen zu führen, hinter verschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen? Oder noch schlimmer: Werden wir, sobald unsere Geschwister erwachsen sind, keine andere Wahl haben, als alles hinter uns zurückzulassen und irgendwohin zu fliehen, ganz weit weg?
Ich sage mir, dass ich nur im Hier und Jetzt leben soll, einen Tag nach dem anderen so nehmen, wie er ist – aber wie kann ich das? Ich werde bald mit der Schule fertig sein, ich werde zu studieren anfangen, ich muss über meine Zukunft nachdenken, ich muss entscheiden, was für ein Leben ich führen will. Was ich wirklich gern tun würde, wäre schreiben – vielleicht für eine Zeitung oder Zeitschrift –, doch ich weiß, dass das nicht viel mehr als ein Wunsch ist, ein lächerlicher Traum. Denn ich muss so schnell wie möglich Geld verdienen: Ich brauche unbedingt einen Beruf mit einem ordentlichen Einstiegsgehalt und gutem Einkommen. Sobald ich eigenes Geld verdiene, da bin ich mir ganz sicher, wird Mum uns endgültig nicht mehr unterstützen. Wenn ich mit der Uni fertig bin, wird Willa acht sein, was bedeutet, dass sie noch ganze zehn Jahre lang auf meine Hilfe angewiesen sein wird, finanziell und überhaupt. Bei Tiffin werden es noch sechs Jahre sein, bei Kit zwei … Jahre und Zahlen und Kalkulationen geistern mir durch den Kopf. Ich weiß, dass Maya auch zu unserem gemeinsamen Haushalt beitragen wird, aber ich will nicht, dass wir auf ihr Geld angewiesen sind, ich möchte nicht, dass sie sichin ihren Plänen und Wünschen eingeengt fühlt. Wenn sie auch studieren möchte, wenn sie plötzlich ihren Kindheitstraum verwirklichen möchte, Schauspielerin zu werden, dann soll ihr die Familie dabei nicht im Weg stehen. Ich will nicht, dass sie auf dieses Recht verzichten muss – auf das Grundrecht eines jeden Menschen, das Leben zu wählen, das er gern führen will.
Was mich betrifft, so habe ich meine Wahl schon seit Langem getroffen. Mich um meine Geschwister zu kümmern war eine Entscheidung, die ich schon mit zwölf getroffen habe. Dafür ist mir kein Opfer zu groß. Aber der lange Weg, der da immer noch vor mir liegt, ist so steil und steinig, dass ich manchmal nachts aufwache und Angst habe, in die Tiefe zu stürzen. Nur der Gedanke daran, dass ich Maya an meiner Seite habe, gibt mir genügend Kraft, um weiterzumachen. Doch in der letzten Zeit sind die Opfer, die von mir verlangt werden, immer noch größer geworden.
Unsere Mutter hat es sich in den Kopf gesetzt, Dave zu heiraten, koste es, was es wolle. Wahrscheinlich schon vom ersten Augenblick an, als sie ihn gesehen hat. Dave macht allerdings keine Anstalten dazu, auch jetzt nicht, wo seine Scheidung wohl endgültig durch ist. Und er hat ihr klar zu verstehen gegeben, dass er nicht beabsichtigt, sich noch eine weitere Familie aufzuhalsen. Mum hat sich bereits entschieden – für ihn und gegen uns –, und ich befürchte, wenn ich jetzt achtzehn werde und volljährig bin, wird sie endgültig versuchen, sich von der Last, die wir für sie sind, zu befreien. Vielleicht, so hofft sie, steckt Dave ihr dann den Ehering an den Finger. Jedes Mal, wenn ich ihr etwas Geld abringe – für Essen, Kleidung, Schulsachen –, fängt sie damit an, dass sie selber die Schule mit sechzehn verlassen und zu arbeiten
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