Forbidden
über den Schulhof gehen, die Köpfe schwer und die Körper zappelig, wie immer nach einem langen, langweiligen Schultag. »Warum sollte er etwas dagegen haben?«
Hätte er nicht, das ist ja das Problem. Er würde mich geradezu drängen, mit Francie noch zu Smiley’s zu gehen, und weil ich das weiß, bekomme ich ein so schlechtes Gewissen, dass ich es kaum aushalte. Ich kann ihn nicht allein lassen mit dem Abendessen und der Hausaufgabenbetreuung der Kleinen und Kits ständigen Provokationen. Schließlich hat er einen fast genauso langen Schultag wie ich hinter sich, der ihn außerdem viel mehr Kraftkostet. Außerdem drängt es mich, ihn zu sehen, selbst wenn das bedeutet, andauernd gegen das Bedürfnis ankämpfen zu müssen, ihn zu berühren, ihn zu umarmen, ihn zu küssen. Ich sehne mich so nach ihm, so viele Stunden habe ich jetzt schon ohne ihn verbringen müssen – ich vermisse ihn richtig. Wenn ich ihn jetzt gleich wiedersehen kann, nehme ich dafür auch in Kauf, mich nach dem tödlich langweiligen Geschichtsunterricht sofort in das nervtötende Chaos zu Hause zu stürzen. Ich kann es gar nicht erwarten, seine Augen aufleuchten zu sehen, wenn ich zur Tür reinkomme. Das Lächeln, mit dem er mich begrüßt. Und das, obwohl er gleichzeitig mit den Töpfen am Herd beschäftigt ist, obwohl er Tiffin zum x-ten Mal sagt, dass er den Tisch decken soll, und Willa davon abhalten muss, sich Choco Pops in den Mund zu stopfen.
»Ich kann nicht. Tut mir leid«, sage ich zu Francie. »Es ist einfach so viel zu tun.«
Aber diesmal hat sie kein Verständnis. Stattdessen zieht sie ein Schmollgesicht und lehnt sich an der Ecke, wo wir uns normalerweise trennen, an die Schulmauer. »Ich dachte, ich bin deine beste Freundin«, sagt sie auf einmal. Sie klingt gekränkt und enttäuscht.
Ich bin betroffen. »Das bist du … du bist meine beste Freundin … Das hat doch gar nichts damit zu tun, ich –«
»Hey, komm schon, Maya. Ich merk doch, was mit dir los ist«, unterbricht sie mich. Ihre Worte zerfetzen die Luft.
Mein Puls schlägt schneller. »Wovon um Himmels willen redest du?«
»Du hast jemand kennengelernt, stimmt’s?« Sie fragt das nicht, sondern sie verkündet es, wie man eine unumstößliche Tatsachefeststellt. Dabei verschränkt sie die Arme vor der Brust, presst den Rücken gegen die Mauer. Sie blickt mich nicht an.
Einen Moment lang bin ich ganz verdattert. »Nein!«, rufe ich. Es ist mehr ein erstauntes Luftholen als eine Antwort. »Hab ich nicht. Ich schwör’s dir. Wie kommst du denn … Warum denkst du …?«
»Ich glaub dir nicht.« Francie schüttelt wütend den Kopf und starrt weiter an mir vorbei in eine unbestimmte Ferne. »Ich kenne dich, Maya. Du hast dich verändert. Wenn du mit mir redest, bist du nie ganz bei der Sache. Du hörst mir nie richtig zu, du träumst die ganze Zeit. Außerdem wirkst du total glücklich. Und du rennst immer gleich davon, sobald es das letzte Mal geklingelt hat. Ich weiß, dass bei dir zu Hause der ganze beschissene Kram auf dich wartet, aber du wirkst jetzt immer so, als würdest du dich trotzdem freuen, als könntest du es gar nicht erwarten, aus der Schule zu kommen –«
»Francie, ich habe keinen heimlichen Freund!«, protestiere ich. »Ich würde es dir doch als Erster erzählen!« Das klingt so aufrichtig, dass ich mich im gleichen Augenblick selber schäme. Es ist kein Freund, den ich gerade erst kennengelernt habe, sage ich mir. Das mit Lochan ist etwas ganz anderes.
Francie mustert misstrauisch mein Gesicht, während sie mich weiter bedrängt. Aber nach einer Weile beruhigt sie sich und scheint mir zu glauben. Ich erfinde irgendeine Geschichte von wegen, ich hätte mich in einen Jungen eine Klasse höher verliebt, um meine Tagträumerei zu erklären, und zum Glück nenne ich auf die Schnelle einen, der schon eine Freundin hat, sodass Francie nicht auf die Idee kommen kann, mich mit ihm zu verkuppeln. Doch unser Gespräch lässt mich erschüttert zurück. Ich muss inZukunft noch vorsichtiger sein. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht verrate, sogar wenn er gar nicht in der Nähe ist. Der kleinste dumme Zufall könnte alles auffliegen lassen …
Als ich nach Hause komme, sitzen Kit und Tiffin im Wohnzimmer vor dem Fernseher, was mich überrascht. Nicht die Tatsache, dass sie vor dem Fernseher sitzen, sondern dass sie es gemeinsam tun und dass Tiffin die Fernbedienung in der Hand hat. Kit hat sich aufs Sofa geschmissen, das Kinn in eine Hand
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