Forbidden
gestützt, und glotzt in den Bildschirm. Tiffin hat Ketchupspuren auf seinem Hemd, sitzt am anderen Ende des Sofas und starrt gebannt auf einen brutalen Zeichentrickfilm, die Augen weit aufgerissen, den Mund wie ein Fisch aufgeklappt. Keiner von beiden schaut auf, als ich hereinkomme.
»Hallo!«, rufe ich.
Tiffin hält eine Packung Choco Pops hoch und schüttelt sie, den Blick hat er weiter auf den Fernseher gerichtet. »Ist heute erlaubt«, verkündet er.
»Vor dem Abendessen?«, frage ich misstrauisch, werfe meinen Blazer über die Sofalehne und lass mich direkt neben Tiffin fallen. »Tiffin, ich glaube, das ist keine sehr gute Id …«
»Das ist das Abendessen«, klärt er mich auf und schaufelt sich weitere Choco Pops in den Mund, das Polster ist schon übersät davon. »Lochie hat gesagt, wir können essen, was wir wollen.«
»Was?«
»Sie sind ins Krankenhaus gefahren.« Kit dreht den Kopf zu mir und blickt mich mit Leidensmiene an. »Und ich muss hier bei Tiffin bleiben und mich die nächste Zeit von Frühstückszeugs ernähren.«
Ich richte mich auf. »Lochie und Willa sind ins Krankenhaus gefahren?«, frage ich ungläubig.
»Ja«, kommt es als Antwort von Kit.
»Aber was ist passiert, verdammt noch mal?« Meine Stimme ist laut geworden, ich springe auf und wühle in meinem Rucksack nach den Schlüsseln. Durch meinen Aufschrei aufgeschreckt, lösen die beiden endlich die Augen vom Fernseher.
»Ich wette, es ist überhaupt nichts«, sagt Kit empört. »Ich wette, sie warten die ganze Nacht in der Notaufnahme, Willa schläft schließlich bei Lochan auf dem Schoß ein, und wenn sie aufwacht, wird sie sagen, dass es gar nicht mehr wehtut.«
»So ein Quatsch!« Tiffin blickt ihn entsetzt an. »Willa muss vielleicht operiert werden. Oder sie müssen amputieren –«
»Was ist passiert?«, brülle ich noch einmal.
»Weiß ich nicht! Irgendwas mit ihrem Arm, ich war noch nicht mal in der Küche!«, sagt Kit.
»Aber ich«, verkündet Tiffin und lässt seine Hand in der Choco-Pops-Packung verschwinden. »Sie ist runtergefallen, als sie den Küchenschrank hochklettern wollte, und dann hat sie angefangen zu schreien. Als Lochan sie hochgehoben hat, hat sie noch lauter geschrien, und sie hat immer weiter geschrien. Deshalb hat er dann ein Taxi gerufen, und sie sind ins Krankenhaus gefahren.«
»Wohin sind sie gefahren?« Ich packe ihn am Arm und schüttle ihn. »Nach St. Joseph?«
»Au, du tust mir weh! Ja, er hat gesagt, nach St. Joseph.«
»Bleibt, wo ihr seid!«, rufe ich, schon an der Tür. »Tiffin, du gehst heute nicht mehr raus, hörst du? Kit, versprichst du mir, dass du bei Tiffin bleibst, bis ich zurück bin? Und geht sofort ans Telefon …!«
Kit verdreht die Augen. »Das hat Lochan mir auch schon alles gesagt und –«
»Versprichst du es mir?«
»Ja!«
»Und macht nicht die Tür auf, falls es klingelt, und wenn es irgendein Problem geben sollte, ruft mich auf meinem Handy an!«
»Okay, okay!«
Ich renne den ganzen Weg. Das Krankenhaus liegt gut zwei Meilen entfernt, aber es ist Rushhour, und den Bus zu nehmen wäre wahrscheinlich viel langsamer und quälender. Das Rennen hilft mir, die Bilder der verletzten, schreienden Willa auszublenden. Wenn ihr irgendetwas Schlimmes zugestoßen ist, werde ich das nicht überleben, das weiß ich. Meine Liebe zu Willa ist wie ein stechender Schmerz in meiner Brust, das Blut pocht in meinen Schläfen. Es hämmert in mir. Das muss mein schlechtes Gewissen sein, weil ich mich in der letzten Zeit, seit meine Beziehung zu Lochan begonnen hat, trotz meines Versprechens nicht mehr so viel wie früher um meine kleine Schwester gekümmert habe. Ich habe das Baden am Abend und die Gutenachtgeschichte immer so schnell wie möglich hinter mich gebracht, habe sie oft angefahren, wenn eigentlich Tiffin der Schuldige war, habe immer wieder Nein gesagt, wenn sie mit mir spielen wollte. Immer sind die Hausarbeit oder die Hausaufgaben wichtiger, verlangt alles andere dringender nach mir, und die zehn Minuten Zeit für Willa fehlen. Kit hält alle mit seinen ständigen Launen auf Trab, Tiffin mit seiner Hyperaktivität, und Willa zieht meistens den Kürzeren, verstummt zwischen ihren beiden Brüdern beim Abendessen. Ich bin ihre einzige Schwester und habe früher häufig mit ihr gespielt, wir haben gemeinsam ihre Puppen zum Tee eingeladen, ich habesie verkleidet und geschminkt, habe ihr lustige Zöpfchen geflochten. Aber jetzt ist bei mir der Kopf immer mit so
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