Forbidden
uns verlassen hat. Lochan weinen zu sehen hat mich viele Jahre durch die Zeit zurückgeschleudert, zurück zu dem Tag, als Dad ein letztes Mal kam, um uns Auf Wiedersehen zu sagen, bevor er zumFlughafen fuhr, um am anderen Ende der Welt mit seiner neuen Familie ein neues Leben anzufangen. Er hatte uns Geschenke mitgebracht und uns Fotos von seinem Haus mitsamt Swimmingpool gezeigt und uns versprochen, uns in den Schulferien zu sich zu holen, und uns versichert, regelmäßig nach England zu kommen. Die anderen hatten das natürlich geglaubt, sie waren ja noch so klein, auch Kit, aber irgendwie spürten Lochan und ich, dass wir unseren Vater niemals wiedersehen würden. Und es dauerte nicht lange, da wurde unsere böse Vorahnung bestätigt.
Seine Anrufe kamen erst wöchentlich, dann nur noch einmal im Monat, danach nur noch zu besonderen Anlässen und dann gar nicht mehr. Als Mum uns erzählte, dass er noch einmal Vater geworden war, wussten wir, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis auch seine Geburtstagsgeschenke aufhören würden. Und sie hörten dann auch auf. Alles hörte auf. Sogar die Unterhaltszahlungen für uns Kinder hörten auf. Lochan und ich hatten das alles nicht anders erwartet – trotzdem waren wir nicht darauf gefasst gewesen, dass er uns so schnell völlig aus seinem Leben streichen würde. Ich erinnere mich noch genau an den Augenblick nach dem endgültigen Abschied, als die Haustür zugefallen war und das Geräusch von Dads Auto sich schon weit entfernt hatte. Ich hatte mich auf mein Bett geschmissen und meinen Stoffhund fest an mich gedrückt, zusammen mit dem Foto von dem Haus, das ich nie sehen würde, und auf einmal packte mich eine Riesenwut und ein Hass auf meinen Vater, der früher immer behauptet hatte, mich zu lieben. Aber Lochan schien das alles geschluckt zu haben, was mich erstaunte und noch wütender machte. Er freute sich mit den anderen, dass wir bald alle miteinander nach Australien fliegen würden. Ich dachte nur, wie blöd kann man dennsein. Ich war trotzig und behandelte ihn den ganzen Tag wie Luft, während er sich durch dieses falsche Theater quälte. Erst in der Nacht, als er dachte, ich schliefe schon, brach es aus ihm heraus. Leise schluchzte er in seinem Etagenbett über mir in sein Kissen. Er wollte sich damals auch nicht trösten lassen – stieß mich erst weg, als ich versuchte, ihn zu umarmen, bis er schließlich nachgab und es zuließ, dass ich mich zu ihm unter die Bettdecke kuschelte und mit ihm weinte. Wir schworen damals hoch und heilig, dass wir immer zusammenbleiben würden, auch wenn wir erwachsen sind. Irgendwann waren wir dann erschöpft und leer geweint eingeschlafen. Und jetzt ist es fünf Jahre später, so vieles hat sich geändert und doch so wenig.
Wie seltsam es sich anfühlt, hier bei Lochan im Bett zu liegen, er schlafend neben mir. Willa ist früher häufig zu mir ins Bett gekommen, wenn sie Albträume hatte. Am Morgen wachte ich dann auf und spürte ihren kleinen Körper, der sich gegen meinen schmiegte. Aber das hier ist Lochan: mein Bruder, mein Beschützer. Als ich seinen Arm so lässig um mich geschlungen sehe, muss ich lächeln – sobald er aufwacht, wird er ihn blitzschnell wegziehen. Doch ich möchte nicht, dass er aufwacht. Sein Bein liegt halb auf meinem, drückt unbequem. Er hat noch sein Schulhemd und seine Schulhose an, ich spüre seine Schulter schwer auf meiner, werde von ihm regelrecht aufs Bett gepresst. Ich bin richtig eingezwängt – wir sind es beide: Sein anderer Arm ist in dem schmalen Spalt zwischen Matratze und Wand verschwunden. Vorsichtig drehe ich den Kopf, um zu sehen, ob er vielleicht bald aufwacht. Wirkt nicht so. Er schläft tief und fest, atmet langsam und gleichmäßig, sein Gesicht mir zugewandt. Es kommt nicht oft vor, dass ich ihm so nahe bin – eigentlich gar nicht mehr, seitwir keine Kinder mehr sind. Eigenartig, ihn aus so großer Nähe zu betrachten: Ich sehe Dinge, die ich vorher kaum bemerkt habe. Seine Haare, auf die durch den Vorhang ein schräger Sonnenstrahl fällt, sind nicht alle schwarz, sondern ein paar Strähnen schimmern in warmem, goldenem Braun. Ich fahre mit den Augen die Linien der feinen Adern unterhalb seiner Schläfe nach, könnte fast die einzelnen Haare seiner Augenbrauen zählen. Die weiße Narbe über seinem linken Auge, wo er als Kind einmal unglücklich stürzte, ist immer noch nicht vollständig verschwunden. Und wie lang seine dunklen Wimpern sind. Meine Augen
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