Forbidden
Alltagsfragen: wer die Kleinen zur Schule bringt und abholt; wer einmal in der Woche den Großeinkauf macht; wie man Kit dazu bringen kann, sich für alle um die Wäsche zu kümmern; wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Mum nüchtern beim Elternabend aufkreuzt; welche Aktivitäten für Tiffin und Willa am Wochenende organisiert werden können; Termine beim Zahnarzt; was tun mit dem undichten Kühlschrank. Wir sind nie allein miteinander. Mum lässt sich immer seltener blicken, das Familienleben findet so gut wie ohne sie statt. Der Druck in der Schule und zu Hause wird immer größer, aber das macht mir nichts aus. Dann habe ich wenigstens keine Zeit zum Nachdenken.
Allmählich bessert sich mein Zustand, alles hat sich fast wieder normalisiert, als es eines Abends spät bei mir an der Tür klopft.
Der Laut zerfetzt die Luft wie eine Bombe auf offenem Feld.
»Was ist?« Ich fahre nervös hoch, was auch mit meiner Überdosis Koffein im Blut zu tun hat. Mein täglicher Kaffeekonsum hat neue Höchstwerte erreicht, nur so schaffe ich es, mein Energieniveau tagsüber und bis spät in die Nacht aufrechtzuerhalten. Es kommt keine Antwort, aber ich höre, wie die Tür sich hinter mir öffnet und wieder schließt. Ich drehe mich um, mit der Handnoch den Stift umklammernd, mein Leihnotebook von der Schule aufgeklappt, um mich herum lauter Bücher, Hefte, Notizen. Sie hat wieder ihr Nachthemd an – das weiße, aus dem sie schon lange rausgewachsen ist und das ihr kaum noch bis zum Oberschenkel reicht. Besser, sie würde nicht so damit herumlaufen; besser, sie hätte keine so langen, glänzenden rotbraunen Haare; besser, sie hätte nicht solche blauen Augen; besser, sie würde nicht einfach so hier hereinkommen. Ich wünschte mir, ihr Anblick würde mich nicht in einen so angespannten Zustand versetzen, dass sich in mir alles verkrampft und es heftig an meinen Schläfen pocht.
»Hallo«, sagt sie. Und wie sie das sagt. Schon der Klang lässt mich zusammenfahren. Mit einem einzigen Wort bringt sie Zärtlichkeit und Sorge zum Ausdruck. Dieses eine Wort von ihr reicht, um mich aus meinem Albtraum aufzurütteln. Ich räuspere mich, meine Kehle ist trocken, in meinem Mund ist ein bitterer Geschmack: »Hallo.«
»Stör ich dich?«
Ich will zu ihr sagen: Ja, du störst mich. Ich will sie bitten zu gehen. Ich will, dass ich die Anwesenheit ihres Körpers in diesem Raum, diesen zarten, frischen Duft, nicht mehr riechen muss. Aber ich bringe kein Wort heraus, und deshalb setzt sie sich auf mein Bett, nur wenige Zentimeter von mir entfernt, eines ihrer nackten Beine hat sie unter ihren Körper geschoben. Sie beugt sich vor.
»Mathe?«, fragt sie nach einem kurzen Blick auf meine Zettel.
»Ja.« Ich wende mich wieder meinen Schulbüchern zu, den Stift gezückt, um mir weiter Notizen zu machen.
»Hey –« Sie streckt ihre Hand aus, ich zucke zusammen undziehe meine schnell weg, und da liegt ihre Hand nun leer und sinnlos auf meinem Schreibtisch. Ich zwinge meine Augen zum Computerbildschirm zurück, Blut schießt mir in die Wangen, mein Herz schlägt wild. Ihre langen, glänzenden schönen Haare fallen ihr ums Gesicht, und nichts trennt uns als ein quälendes Schweigen.
»Erzähl mir«, sagt sie, einfach und direkt. Die beiden Wörter reichen, um die verletzliche Membran, die mich umgibt, zu durchstechen.
Das kann sie mir nicht antun. Ich hebe den Kopf, um den Blick aus dem Fenster zu richten, aber ich kann nur mein eigenes Spiegelbild sehen, das kleine Zimmer und Maya neben mir, sanft und unschuldig.
»Es ist etwas geschehen, oder?« Ihre Stimme durchbohrt das Schweigen wie in einem Traum, den man nicht träumen will.
Ich schiebe meinen Stuhl von ihr fort und fahre mir über den Kopf. »Nein, nichts. Ich bin nur müde.« Meine Stimme kratzt in der Kehle. Sogar in meinen eigenen Ohren klingt sie fremd.
»Ja, hab ich gemerkt«, fährt Maya fort. »Und deshalb bin ich hier. Ich will wissen, warum du dich so kaputtmachst.«
»Ich hab einfach so viel zu tun.«
Wieder hängt Schweigen in der Luft. Ich spüre, dass sie sich nicht so leicht abschütteln lassen wird. »Was ist passiert, Lochie? Irgendwas in der Schule? Hat es mit deinem Referat zu tun?«
Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann es dir nicht sagen, von allen Menschen auf der Welt dir am wenigsten. Der einzigen Person, an die ich mich bisher immer wenden konnte und die mich immer verstanden hat. Und jetzt habe ich dich auch noch verloren. Jetzt habe ich alles
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