Forbidden
ist es mir total egal, ob sie jemals wieder mit mir redet oder nicht. Eine solche Verzweiflung hat sich in mir breitgemacht, dass ich kaum mehr atmen kann. Ich fühle mich, als läge ein riesiger Fels auf meiner Brust. Meine Augen tun mir weh, weil ich mich dauernd anstrengen muss, nicht loszuheulen. Am Nachmittag macht sich sogar Francie Sorgen um mich, bricht ihr Schweigen und bietet mir an, mich zur Krankenstation zu begleiten. Aber womit soll mir eine Krankenschwester helfen können? Kann sie mir eine Pille geben, die meine Einsamkeit verschwinden lässt? Eine Tablette, die bewirkt, dass Lochan wieder mit mir spricht? Oder vielleicht eine Kapsel, um die Zeit zurückzudrehen, die Tage zurückzudrehen, damit ich mich an dem Nachmittag aus Lochans Armen lösen kann, nachdem unser Tanz vorbei war, statt mich an ihn zu schmiegen und mich mit ihm zu einem Song von Katie Melua hin und her zu wiegen? Ist er wütend auf mich, weil er denkt, ichhätte das alles geplant? Dass der Salsa nur eine List war, damit er danach einen Blues mit mir tanzt? Unsere Körper eng aneinandergepresst, sodass ich die Hitze spüre, die von ihm ausstrahlt, und er die Wärme meines Körpers? Ich hatte nicht vorgehabt, meine Arme um seinen Hals zu legen. Es ist einfach geschehen. Ich hatte das alles nicht geplant. Ich hatte ja keine Ahnung, dass allein schon ein Blues einen Jungen so erregen konnte. Aber als ich es spürte, als ich spürte, was es war, das da gegen meine Hüfte drückte, fühlte ich plötzlich überall in meinem Körper eine kribbelnde Hitze, sie stieg mir bis in den Kopf. Ich wollte nicht aufhören zu tanzen. Ich löste mich nicht von ihm.
Ich ertrage es nicht. Mir vorzustellen, ich könnte unsere Nähe, unsere Freundschaft, unser gegenseitiges Vertrauen verloren haben, übersteigt meine Kräfte. Lochan war immer viel mehr für mich als ein Bruder. Er ist der Gefährte meiner Seele, die Luft, die ich atme, der Grund, warum ich mich auf jeden neuen Tag freue. Ich wusste immer schon, dass ich ihn mehr liebe als jeden anderen Menschen auf der Welt – und nicht nur so, wie man einen Bruder liebt, so wie ich Kit und Tiffin liebe. Doch irgendwie war mir bisher nie in den Sinn gekommen, dass das noch einen Schritt weiter gehen könnte …
Aber ich weiß, das ist zu lächerlich, zu dumm, um daran überhaupt nur zu denken. So sind wir nicht. Wir sind nicht krank. Wir sind einfach nur Bruder und Schwester, die zufälligerweise auch beste Freunde sind. So ist es immer zwischen uns gewesen. Das darf ich nicht verlieren, oder ich werde nicht überleben.
Am Ende des Schultags nervt mich Francie wieder wegen dieser Sache mit Nico DiMarco. Sie scheint zu denken, dass ich in eineDepression gerutscht bin, und einen Freund zu haben – erst recht einen der begehrtesten Jungen an der ganzen Schule – würde mich schon aus meinem Stimmungstief reißen. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht brauche ich etwas Ablenkung. Und wie könnte ich Lochan besser zeigen, dass es nur ein Versehen war, was da zwischen uns passiert ist? Weil wir beide nur etwas tanzen und Spaß haben wollten. Wenn ich einen Freund habe, wird Lochan begreifen, dass das alles nichts zu bedeuten hat. Und Nico ist ja wirklich sehr süß. Seine Haare haben dieselbe Farbe wie Lochans Haare. Seine Augen haben auch fast einen grünlichen Schimmer. Obwohl Francie wirklich falschliegt, wenn sie glaubt, beide wären in derselben Liga. Niemals. Lochan ist ungeheuer klug und intelligent, kann sich in andere einfühlen und ist der netteste, selbstloseste Mensch, den ich kenne. Lochan hat eine Seele. Nico mag zwar im selben Alter sein, aber verglichen mit Lochan ist er ein kleiner Junge – ein verwöhntes reiches Kind, das von seiner vornehmen Privatschule geflogen ist, weil es Shit geraucht hat; ein Junge mit einem hübschen Gesicht, einem arroganten Auftreten und einem Charme, den er so sorgfältig pflegt wie seine Kleidung und seine Frisur. Aber es stimmt, dass ich die Idee, mit ihm abends auszugehen, sogar, ihn zu küssen, nicht völlig abstoßend finde.
Nach dem letzten Klingeln, als wir über den Schulhof zum Ausgang gehen, sehe ich ihn auf uns zukommen. Er hat gewartet, das ist offensichtlich. Francie entfährt ein halb unterdrückter Aufschrei, und sie stößt mir mit dem Ellenbogen in die Rippen, bevor sie abzieht. Nico hat nur mich im Auge. Als würden wir von einem unsichtbaren Faden zueinandergezogen, gehen wir Schritt für Schritt aufeinander zu. Er hat seine Krawatte
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