Forbidden
weil sie immer so lange arbeitet. Und weißt du, es ist viel zu gefährlich, so spät abends noch allein nach Hause zu gehen.«
Mein Herz fängt an zu rasen. Ich wünschte, Lochan wäre hier, um jetzt das Richtige zu sagen. Ich weiß nicht, wie ich es ihnen erklären soll. Ich weiß nicht, an welche Erklärung ich selber glauben soll.
»Und warum ist sie dann noch nicht mal am Wochenende hier?«, fragt Tiffin, er klingt empört und erbost. »Warum bringt sie uns nie mehr zur Schule oder holt uns an ihrem freien Tag ab?«
»Weil …« Ich zögere. Ich weiß, dass ich jetzt lügen muss. »Weil sie jetzt jeden Tag arbeitet, auch am Wochenende. Sie hat keinen freien Tag mehr. Sie hat gesagt, dann kann sie mehr Geld verdienen, um uns hübsche Sachen zu kaufen.«
Tiffin sieht mich zornig an, mit einer ganz neuen Härte in seinem Blick. Zum ersten Mal erkenne ich in ihm den Teenager, der er in ein paar Jahren sein wird. »Du lügst«, sagt er leise. »Ihr lügt alle.« Er steht auf und stürmt die Treppe hoch.
Ich sitze wie gelähmt da. Ich weiß, dass ich ihm nach sollte, aber was soll ich ihm antworten? Willa zupft an meinem Ärmel, sie will, dass ich mit ihr Cluedo spiele. Zum Glück hatte sie nicht richtig mitbekommen, wovon Tiffin und ich redeten. Und so stelle ich mit leicht zitternder Hand die Figuren auf, übernehme auch noch die von Tiffin, und wir fangen an zu spielen.
Je mehr Zeit vergeht, desto stärker fühlt sich der Nachmittag des Tages, an dem ich in der Schule ohnmächtig geworden bin, allmählich wie ein Traum an, und die Erinnerung daran verblasst. Ich versuche nicht noch einmal, Lochan zu berühren. Ich sage mir, dass das nur vorübergehend ist – nur, bis die Dinge sich beruhigt haben, bis Tiffin sich wieder gefangen hat und derselbe freche kleine Kerl wie immer ist. Das dauert nicht lange, aber ich weiß, dass er die Szene in der Küche nicht vergessen hat und auch nicht den Zweifel, die Verletzung und die Verwirrung. Und das genügt, um mich von Lochan fernzuhalten.
Der Weihnachtswahnsinn beginnt: Krippenspiele für die Jüngeren, für die Kostüme genäht werden müssen; eine Weihnachtsdisco für die älteren Schüler, zu der nur Lochan nicht hingeht. Dann sind Ferien, und Weihnachten bricht so richtig über uns herein. Wir dekorieren das Haus mit Girlanden und Lametta, und mit vereinten Kräften schleppen wir zu fünft den Weihnachtsbaum von der Hauptstraße bis nach Hause. Willa bekommt eine Tannennadel ins Auge, und einen Moment lang befürchten wir, dass wir mit ihr in die Notaufnahme müssen, aber dann gelingt es Lochan, die Nadel aus dem Auge zu entfernen. Tiffin und Willa schmücken den Baum mit allerlei Sachen, die sie in der Schule und zu Hause gebastelt haben, und obwohl das Ergebnis ein großes glitzerndes Weihnachtsdesaster ist, macht es uns alle unglaublich fröhlich. Sogar Kit lässt sich dazu herab, bei den Vorbereitungen zu helfen, obwohl er sonst alles tut, um Willa zu beweisen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Wir bekommen von Mum unser Weihnachtsgeld, und ich gehe die Geschenke für Willa kaufen, während Lochan sich um die für Tiffin kümmert – diese Aufgabenteilung haben wir eingeführt, seit ich einmal für Tiffin Fußballhandschuhe mit einem rosa Streifen an der Seite gekauft habe. Kit will nur Geld, aber Lochan und ich legen zusammen, um ihm die lächerlich teure Adidas-Hose zu kaufen, von der er schon seit Ewigkeiten träumt. Am Weihnachtsabend warten wir, bis wir ihn leise schnarchen hören, bevor wir ihm in Geschenkpapier eingewickelt die Schachtel vor die Tür stellen – mit der Aufschrift »Vom Weihnachtsmann« versehen, um ja keine Zweifel aufkommen zu lassen.
Mum taucht am Weihnachtsmorgen am späten Vormittag auf, als der Truthahn bereits im Ofen ist. Sie hat für uns auch Geschenke mitgebracht – hauptsächlich ausrangiertes Spielzeug von Daves Kindern: Legosteine und Spielzeugautos für Tiffin, obwohl er schon seit Langem nicht mehr damit spielt; für Willa noch einmal Bambi auf DVD und einen abgeschubberten Teletubby, den sie mit einer Mischung aus Verwirrung und reinem Horror anschaut. Kit bekommt von ihr ein paar alte Videospiele, die auf seiner Konsole nicht laufen, von denen er aber glaubt, dass er sie an der Schule verklickern kann. Mir schenkt sie ein Kleid, das mir mehrere Größen zu groß ist und aussieht, als hätte es einmal Daves Exfrau gehört, und Lochan kann sich stolzer Besitzer eines Lexikons nennen, das großzügig mit
Weitere Kostenlose Bücher