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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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das Leben, dachte sie. Mit den Jahren geht der Liebreiz flöten, vor allem der, den man ehedem an anderen fand. An wem liegt das? Vermutlich an einem selbst.
    Frenzel hatte ihren Blick beobachtet. »Vielleicht sollten wir Tonio bitten, diese da nicht mehr Maria zu nennen«, schlug er plötzlich vor. »Sondern Liesel. Oder Kätter.«
    »Tun Sie das.« Kätter brachte das Sandwich. Tamar biss ein Stück ab. »Kennen Sie eigentlich Devils Race?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Eins von diesen Computerspielen. Umbringen oder umgebracht werden, und das in einer Endlosschleife. Je mehr Sie totmachen, desto schneller geht es Ihnen von der Hand. Sie können also Ihre eigene Software selbst perfektionieren. Aber dafür wird auch das Umbringen jedes Mal schwieriger.«
    »Nett«, meinte Frenzel. »Was mich betrifft - perfektionieren kann ich nicht mal mein eigenes Handy.«
    »Kein Problem«, fuhr Tamar fort, »die Software fürs immer fixere Totmachen können Sie sich auch aus der Internet-Börse runterladen, wenn Sie fürs Selbermachen zu blöd sind. Gegen Geld natürlich. Gegen richtiges Geld.«
    Frenzel betrachtete sie aufmerksam. »Ja, und?«
    »Wissen Sie, im Internet kann man auch beschissen werden«, schloss Tamar. »Nicht bloß virtuell, sondern richtig.« Sie biss ein weiteres Stück von dem Sandwich ab. »Und damit, das müssen Sie doch verstehen, kann so ein Kerlchen nicht umgehen«, fügte sie kauend hinzu.
    »Das«, sagte Frenzel und winkte der Bedienung, »das hab ich jetzt verstanden.«
     
     
     
    E s dunkelte schon, als er in Zgorzelec ankam. Die meiste Zeit hatte er in einem Schwebezustand verbracht, nicht schlafend (obwohl er das gerne getan hätte), nicht dösend, nicht träumend, sondern irgendwo zwischen Gedankensplittern und angerissenen Traumbildern flirrend, unfähig, irgendwo zu verweilen. Ein paar Mal war er auf die Toilette gegangen, natürlich ist die Toilette in einem Pociag pospieszny ein Ort, an den man sich erst gewöhnen muss, aber mit der Zeit findet man sich auch dort zurecht. Lästig war nur, dass er die herausgetrennten Etiketten seiner Klamotten und Unterwäsche einzeln aus dem Toilettenfenster flattern lassen musste, weil die Spülung nicht funktionierte.
    Danach hatte er wieder zugesehen, wie die Landschaft am Abteilfenster vorbeizog, einmal waren Soldaten eingestiegen und hatten begonnen, Zigaretten zu drehen, aber die Alte hatte es zeternd unterbunden. Irgendwann war die Alte ausgestiegen, er hatte es gar nicht bemerkt, dann auch die Soldaten, später waren jüngere Leute zugestiegen, was heißt jüngere Leute! Albern waren sie und von der unverschämten Vergnügtheit, die einen plötzlich spüren lässt, dass man bald dreißig sein wird.
    Die Jungen hatten mit ihm den Zug verlassen, ziemlich aufgekratzt, offenbar gab es hier eine Disco, die man kennen musste, wie hieß der Ort noch mal? Zgorzelec. In der Bahnhofshalle fand er einen Plan mit dem Netz der regionalen Buslinien, wenn er den Plan richtig las, hielten direkt am Bahnhof zwei Busse, mit denen er über die Neiße und damit über die Grenze kommen würde. Die eine Linie führte durch das Zentrum von Zgorzelec bis fast zum Bahnhof von Görlitz auf der anderen Flussseite, die andere ging weiter nördlich über die Grenze und dort zu irgendwelchen Dörfern tief in der Lausitz.
    Es war verlockend. Er hatte kein Gepäck, er würde aussehen wie jemand, der in Görlitz ein Date hat oder ins Kino will. Niemand würde einen Blick an ihn verschwenden, nicht an der Grenze, aber die war sowieso nicht das Problem. Falls Tabea aufgeflogen war - und ganz sicher war sie das -, würden sie jetzt überall lauern, vermutlich nicht an der Grenze, aber irgendwo dahinter, hechelnd vor Erwartung. Und wenn da einer käme und hatte sich gerade eben die Haare abschneiden lassen: also, da mussten denen doch alle Hundemarken klappern.
    Er verließ die Bahnhofshalle, die jungen Leute aus dem Zug drängten sich in einen Bus, vielleicht war es eben jener, der direkt über die Grenze nach Görlitz fuhr, vielleicht konnte er es damit riskieren, die BTM-Fahnder würden nicht eine ganze Busladung filzen wollen. Außerdem brauchte er in dem Gedränge kein Ticket, bis sich ein Kontrolleur zu ihm hätte durchquetschen wollen, wäre er längst vorher ausgestiegen. Er beeilte sich, mit Mühe drängte er sich noch in den Bus, dann schob sich auch schon die Türe zu.
    Der Bus rollte an, der Mann versuchte gar nicht erst, etwas von der Stadt zu sehen, was er sah und

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