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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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roch, war das Rückendekolletee einer üppigen Rothaarigen. Tabea hatte eine Phase gehabt, in der sie sich die Haare brandrot hatte färben lassen, schon damals hatte es nicht mehr geknallt. Er wandte den Kopf ab, der Bus hielt, zwei oder drei weitere Leute drängten hinein, vor ihm gab es etwas Luft, und über den Kopf der Rothaarigen hinweg erhaschte er einen Blick auf Wohnblocks, die wieder sehr nach Offenbach aussahen. Wieder hielt der Bus und ließ einen ganzen Schwall junger Leute ausschwärmen, der Mann stieg mit ihnen aus, in einem halb oder zu drei Viertel leeren Bus wollte er nicht über die Grenze gefahren werden.
    Vor ihm öffnete sich ein Park, der sich von einem mit Marmorsäulen und einer Kuppel geschmückten Gebäude zum Fluss hinab erstreckte. Auf der anderen Seite des Tales zeichnete sich vor einem rot unterlegten Abendhimmel die Silhouette einer zweiten Stadt ab, Görlitz also, so kommt einer in der Welt herum. Auf dem Rasen flanierten junge Leute oder hockten in Gruppen beieinander, weiter unten spielte eine Band, es hörte sich angestrengt nach Free-Jazz an, der Mann erinnerte sich an einen Abend im Grüneburgpark in den neunziger Jahren, da hatte man solche Musik auch hören können, von irgendwoher wehte ihm der Geruch nach Gras in die Nase, da konnten doch... Er sah sich um, bemüht unauffällig, wahrscheinlich war gerade das schon wieder verdächtig, fast sofort hatte er einen Kandidaten: einsneunzig, Jeans, Lederweste, Schnürstiefel, vor sich hin schlendernd, wie man in der Polizeischule das Schlendern so lernt.
    Aber für ihn schien er keinen Blick zu haben.
    Die Band war nun doch zu einem Ende gekommen, Saxophonist und Gitarrist verbeugten sich, eine junge blonde Frau trat ans Mikrofon, sie hatte ein Pferdegesicht, und die Haare fielen ihr bis zum Arsch, sie rezitierte in einem fragenden verwunderten Tonfall einen Text mit vielen Zischlauten, offenbar war es ein Gedicht, natürlich war es das, und er verstand es auch, alles, kein Wort ging ihm verloren, es ging darum, warum man nicht auf dem Kopf gehen kann und warum von der Liebe nur die Flecken auf dem Bettlaken bleiben.
    »Irgendwie«, sagte eine Frauenstimme vor ihm, »ist das hier nicht mein Ding.« Die Stimme gehörte einer mageren bebrillten Deutschen mit schulterlangen schwarzen Haaren.
    »Und mit den Mackern«, sagte ihre Freundin und fingerte nach ihrer Zigarettenschachtel, »ist auch nicht viel los.« Die Freundin war stämmig und hatte dunkelblondes Haar, mit braunen geflochtenen Strähnen darin. Die Packung war leer, sie zerknüllte sie und warf sie weg.
    Eine Hand hielt ihr eine andere Schachtel hin, aus der eine Zigarette bereits griffbereit ein Stück weit herausgeschüttelt war. Die Frau betrachtete die Schachtel und die Hand und den Mann, der dazu gehörte, der Mann war eher klein und schmächtig, das hellblonde, fast weiße Haar zu einer Igelfrisur geschnitten.
    »Was’n das?«
    Der Blonde schüttelte leicht den Kopf und lächelte. Die Frau nahm die Zigarette. »Eine polnische, wie?« Sie ließ sich Feuer geben, der Mann benutzte ein altes Benzinfeuerzeug und sah dabei fragend zu ihrer Freundin. Aber die hatte sich abgewandt.
    »Wo kommst denn her?«
    Auch der Mann hatte sich eine Zigarette angezündet und ließ sie im Mundwinkel hängen. Wieder antwortete er nicht, sondern sah sie nur an, den Kopf leicht schief und das eine Auge wegen des Rauchs etwas zusammengekniffen.
    »Schweigsames Kerlchen.«
    »Frag ihn doch mal«, sagte die Freundin, »ob er noch was anderes hat als seine papieros polski .«
    Der Mann schaute durch den Zigarettenrauch zu ihr hinüber, dann wandte er den Kopf und blickte zu dem Mann in der Lederweste, der inzwischen der Dichterin zuhörte oder ihr auf die Titten sah, wer wusste das schon. Die Schwarzhaarige folgte seinem Blick, dann sahen sie sich wieder an, und sie nickte.
    Schließlich hörte die Dichterin zu rezitieren auf, und die zwei deutschen Frauen und der Mann gingen langsam durch den Park zur Bushaltestelle. Die Frauen waren aus Weißwasser, fünfzig oder sechzig Kilometer entfernt, Margot - die Schwarzhaarige - arbeitete bei der AOK, und Ella war Kontoristin in einem Computerladen. Ihren Toyota hatte Margot auf dem Görlitzer Marktplatz geparkt.
    Niemand wollte im Bus einen Ausweis von ihnen oder ihrem Begleiter sehen.
     
     
     
    E ine Glocke aus Flutlicht schirmte das Stadion gegen den Abendhimmel ab. Der Geräuschpegel war nicht sehr hoch, manchmal drang ein kollektives

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