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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Brusttasche zu fingern? Es war ein schmales Teil, das er plötzlich herauszog, gebogen wie eine Banane und mit Schildpatt besetzt, und er klappte es auf, einfach so, vor den Augen des Mannes blitzte die glatte geschliffene Klinge des Rasiermessers auf, wie gelähmt starrte er in den Spiegel und sah zu, wie sich die Klinge seiner Kehle näherte, so wird das also gemacht, dachte er, ein Schnitt, schnell und sauber und tief, und du läufst einfach aus, aber wie trennten sie dann die Knorpel und die Knochen durch, da würde die Klinge doch abbrechen, du musst ihm die Hand wegschlagen, aber so - eingepackt in den Frisiermantel - geht das nicht, der merkt jede Anspannung, und es macht ratsch!, ehe du auch nur die Hand gehoben hast...
    Behutsam legte der Friseur seine linke Hand auf den Kopf des Mannes und drückte ihn leicht zurück und begann, die Stelle zwischen Nase und Oberlippe auszurasieren. Der Mann sah zu ihm hoch, das heißt, in Wirklichkeit glaubte er, sich zuzusehen, wie er dem Friseur zusah, es war alles schon geschehen, und was er sah, war nur eine Art Rückblende, in der sich noch einmal die letzten Sekunden vor dem entscheidenden, dem finalen Schnitt in seinem Gehirn abspulten.
    Der Friseur holte den Spiegel und zeigte seinem Kunden das Bild eines kurzhaarigen blonden Mannes mit einem anstößig nackten Gesicht, das fliehende Kinn jeder Deckung beraubt. Der Mann nickte und bezahlte in Złoty, nicht in Dollar oder Euro, wie der Empfänger vielleicht gehofft haben mochte, und auch das Trinkgeld war nur bescheiden.
    Draußen schlug der Mann den Weg zum Hauptbahnhof ein, den er sich vom Friseur hatte zeigen lassen. Was sonst sollte er tun? Er wollte nicht darüber nachdenken, was ihm widerfahren war oder vielleicht doch nicht widerfahren war, vielleicht gab es einen Weg zum Hauptbahnhof und vielleicht sogar auch einen Hauptbahnhof und Züge darin, und er würde mit einem der Züge fahren, durch weites Land und über Flüsse und Brücken, die Welt würde sich vor ihm öffnen wie im Breitwandformat, nichts mehr würde ihm in diesem einen Augenblick verborgen bleiben, auch nicht der winzige Salon fryzjerski mit der puppenhaft kleinen, in einen Frisiermantel gehüllten Gestalt, der sich eine zweite Gestalt nähert, das aufgeklappte Rasiermesser in der Hand.
    Die Straße, die er gegangen war, mündete in einen weiten unübersichtlichen Platz. Vor sich sah er eine Front von zweigeschossigen Bogenfenstern, die ein Betondach trugen, die rußgrauen Fenster voll gehängt mit bunten Reklameschildern. Vor dem Eingangsbereich warteten Taxen, andere Autos drängten sich vor zwei Haltebuchten. Alles in allem sah dieser Hauptbahnhof nicht viel anders aus, als er es von einer Stadt erwarten konnte, die irgendwie in der gleichen Liga spielte wie Offenbach, allenfalls die Menschen in der großen Wartehalle sahen anders aus, oder jedenfalls ihr Gepäck, reich an Bündeln und zugeschnürten Kartons. Was er nicht erwartet hatte, waren die Fahrtzeiten. Der nächste Zug nach Zgorzelec ging um 12.54 Uhr, aber er würde erst um 19.27 Uhr dort ankommen, dabei war es angeblich ein pociag pospieszny , für den auch noch Zuschlag verlangt wurde. Um Fahrkarte und Zuschlag bezahlen zu können, musste er an einem mächtig vergitterten Bankschalter seinen letzten Hundert-Euro-Schein wechseln. Er würde also am Abend in Zgorzelec sein, mit gerade noch ein paar Złoty in der Jeansjacke, ohne Gepäck, mit einer angebrochenen Schachtel Zigaretten und gerade noch zwanzig Gramm Crystal oder weniger als einzigem Besitz.
    Bis zur Abfahrt des Zuges hatte er noch etwas Zeit, er kaufte sich an einem Kiosk eine Flasche Wasser, dabei hatte er gar keinen Durst, aber er wusste, dass er zwischendurch etwas trinken musste, jeder, der sich auskennt, weiß das. Während er bezahlte, fiel ihm aus dem Krempel der Souvenirs und der anderen Unnützlichkeiten, mit denen die Auslage des Kioskes vollgestellt war, ein Sortiment von Taschenmessern auf, billige Ware, aber fabrikneu, er suchte sich eines davon aus... Wieso gab er seine nahezu letzten Złoty dafür aus? Offenbar war es eine Eingebung gewesen, er musste lernen, seinen Eingebungen zu vertrauen, vor allem hatte das Messer eine kleine Schere, mit der man ein Pflaster zurechtschneiden oder ein Etikett abtrennen konnte, er fand das praktisch. Warum fand er es praktisch? Darum. Er musste es nicht erklären. Das war es: Von jetzt an musste er überhaupt nichts mehr erklären. Nichts und niemandem.
    Der Zug kam

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