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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Tisch gehörte eine Eckbank, dort hatten Marlen und Tamar Platz genommen.
    »Die Elke kommt nicht?«, fragte Linda Hoflach über die Schulter.
    »Nein«, antwortete Marlen. »Sie ist schon gegangen, zum Taxistand.«
    »Ohne Frühstück?«
    »Viel hätte sie sowieso nicht runtergebracht.«
    »Das ist nicht gesund, was dieses Mädchen macht«, bemerkte Linda Hoflach und brachte den Kaffee an den Tisch. »Ach, mein Gerd!«, fuhr sie fort und blickte leidvoll über den Tisch. »Er redet, wenn er das Maul halten soll, und wenn er einem was sagen soll, da bleibt er stumm wie ein Fisch, da wäre doch nichts dabei gewesen, dass er mir sagt, er hat Gäste für die Ferienwohnung, und ich hätte noch besorgen können, was sich so gehört …«
    »Ich weiß wirklich nicht«, sagte Marlen, »was auf diesem Tisch noch fehlen sollte.«
    »Ich bitte dich!«, sagte Linda Hoflach. »Ich hätte …”
    »Sie tragen Trauer?«, unterbrach sie Tamar.
    »Trauer ist zuviel gesagt. Ich muss auf eine Beerdigung, aber Sie müssen nicht kondolieren, keine Verwandte, sie war nur früher auch im Kirchenchor.« Sie nahm einen Stuhl und setzte sich. »Eigentlich ist es eine schreckliche Geschichte, sie hat im Stift gelebt, müssen Sie wissen, und vorgestern hat sie einen anonymen Brief gekriegt, das hat sie so aufgeregt, dass sie den Schlag bekommen hat, und wie man sie findet, da hat sie noch den Brief zusammengeknüllt in der Hand … Also, so einen Brief, den wirft man doch gleich weg, das muss man sich doch nicht antun, also wirklich! Mein Gerd, der hat auch so ein Geschmier bekommen, so ein anonymes, aber ich hab es gleich …« Mit den Händen zeigte sie, wie sie das Papier in Stücke gerissen hatte. »Und dann weg!« Offenbar hatte sie es ins Klo geworfen, denn eine energische Handbewegung veranschaulichte, wie sie die Spülung gedrückt hatte.
    »Und der Gerd weiß nichts davon?«, fragte Marlen.
    »Ist doch besser so«, antwortete Linda Hoflach. »In manchen Sachen ist er nicht der Hellste.«
    »Aber was stand denn drin in dem Brief?«
    »Ich les doch nicht seine Post«, gab die Mutter entrüstet zurück. Plötzlich schlug sie sich mit der Hand vor den Mund und starrte entsetzt auf Marlen. »Was schwätz ich denn die ganze Zeit! Die arme Olga war ja deine Tante, du musst ja nachher auch mit, aber so kannst du nicht auf den Friedhof, wirklich nicht...« Sie überlegte, und Marlen warf einen fragenden Blick zu Tamar.
    »Vielleicht hab ich von früher noch was Schwarzes«, fuhr Linda Hoflach fort und musterte Marlen. »Ich glaub, so ungefähr hab ich auch mal deine Statur gehabt. Lang ist’s her. Vielleicht braucht es nur ein paar Stiche …«
    Scheppernd schlug die Hausklingel an. Linda Hoflach runzelte die Stirn, stand dann aber auf und ging durch den Flur zur Tür.
    »Ich denke, da kannst du ruhig hin«, meinte Tamar. »Die wissen in der Direktion sowieso nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Aber diese Briefe …«
    Sie ließ offen, was sie hatte sagen wollen, denn Linda Hoflach kam zurück, mit einem etwas ratlosen Ausdruck im Gesicht. »Der Herr da wollte zu Ihnen.« Hinter ihr, eine Ledermütze in der Hand, betrat Ramiz die Wohnküche und verbeugte sich.
    »Aber nehmen Sie doch Platz«, sagte Linda Hoflach, zupfte Marlen am Arm und verschwand mit ihr.
    »Viel Leute in Ort. Keine freundliche Leute. Viel Polizei. Leute gucke auf Polizei, Polizei gucke auf Leute.« Ramiz setzte sich und warf einen besorgten Blick auf Tamar. »Wie lang noch brauche?«
    »Nur heute noch«, sagte Tamar und trank ihren Kaffee aus.
     
     
     
    Z um Frühstück hatte es Rührei gegeben und danach ein Stück vom tiefgefrorenen Apfelkuchen, in der Mikrowelle aufgetaut. Stefanie war kurz erschienen und hatte die Post gebracht, mit einem kurzen kalten Lächeln für Ansgar/Andreas/Bastian, er hätte sie nicht am Hintern wegschieben sollen. Nach dem Apfelkuchen hatte er seinen Diener gemacht, das war das respektierte Zeichen, dass er jetzt auf sein Zimmer gehen würde. Auf sein Zimmer? Je nun, nicht mehr lange, sicher nicht, irgendwo und irgendwann würde schon eine Tür aufgehen, durch die man ihn hinausbeförderte, da brauchte er sich selbst gar nicht den Kopf zu zerbrechen.
    Er machte sein Bett und legte sich darauf, nachdem er die Schuhe ausgezogen hatte, und starrte zur Decke, damit er nicht den Flügel sah und nicht den frischen Blumenstrauß, der daneben stand. Die Decke sagte ihm nichts, und das Zimmer schwieg. Sollte er eine von den Platten auflegen oder

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