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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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das gespielt haben?«
    Er zuckte mit den Schultern. Wozu reden? Reden brachte nichts. Schweigen auch nicht. Aber die Frau nervte ihn.
    »Sie wollen Kommissarin sein?«, fragte er. »Haben Sie mir vorgestern nicht erzählt, Sie wollten etwas über die Umstände erfahren, unter denen dieser Bastian hier weggegangen ist? Hier haben Sie die Umstände, und Sie haben Ohren, sie zu hören, aber Sie hören sie nicht.« Rache muss sein.
    »Verstehen Sie etwas vom Klavierspiel oder nicht?«
    »Was ist das nun wieder für eine Frage! Hier geht es doch nicht um das Spielen, sondern ums Hören...«
    Er stand auf und ging zum Flügel und klappte den Deckel hoch. Im Stehen schlug er ein paar Akkorde an, plötzlich krümmte er sich und zog die Schultern hoch wie ein misshandeltes geplagtes Schulkind, die ersten Takte von Opus 31 klangen, als tanzten sie auf hölzernen Füßen … »Hören Sie den Schüler, der das spielt, die Anstrengung, das Angelernte?« Er hielt inne und sah zu der Kommissarin.
    »Ich glaube: ja«, sagte sie.
    »Und jetzt ein Ausflug ins Kaffeehaus.« Ruckartig warf er den Kopf hoch, als müsse er sich eine imaginäre Haartolle aus der Stirn schütteln, wieder schlug er einige Akkorde an, paraphrasierte sie dann, durchaus geläufig, »und noch ein Klingeling und noch mal eins«, kommentierte er das eigene Spiel, »es kostet nichts, die Tasten hinauf und hinunter, hurtig hin und hurtig her, keine Mühe, keine Inspiration, nichts, wozu denn auch, alles Routine, ein Likörchen für den Pianisten...« Er hielt inne.
    Die Tür hatte sich geöffnet. »Wie schön du spielst, Bastian«, sagte Elisabeth Jehle, und in ihrer Stimme klang eine Rührung an, die fest entschlossen war, sich durch nichts erschüttern zu lassen. »Und du sprichst ja, zum ersten Mal hast du wieder gesprochen, jetzt ist alles gut...« Sie war ins Zimmer getreten und hatte die Hand erhoben, als wolle sie ihn berühren.
    Scheiße, dachte er. Nicht schon wieder!
    »Aber warum ich störe«, fuhr Elisabeth Jehle fort, »da ist Post für dich gekommen...« Sie hielt einen Brief in der Hand, er blickte zu der Kommissarin, aber die zuckte nur mit den Schultern, fast widerstrebend nahm er den Brief, auf dessen Umschlag der Name »Sebastian Jehle« und die Adresse des Schreibwarengeschäfts getippt waren, offenkundig von einem Schreibcomputer.
    Elisabeth Jehle zog sich zurück, er öffnete den Umschlag und zog ein zusammengefaltetes DIN-A4-Blatt hervor. Er faltete es auseinander und versuchte ein Lächeln. »Schauen Sie nur, jetzt hab auch ich einen anonymen Brief bekommen.« Er reichte das Blatt an die Kommissarin weiter. Es waren nur wenige Worte, in einer fahrigen, aber unverstellten und weit ausholenden Handschrift:
     
    Was immer war - gestohlen hab ich dir nichts
     
    »Haben die netten Leute hier einen Hang zum Verfolgungswahn?«, bemerkte er. »Die eine will mich in den Knast stecken, ich weiß nicht für wie viele Jahre, und der da behauptet, ich hätte ihn einen Dieb genannt.« Er zog den Klavierhocker zu sich heran, setzte sich und sah zu der Kommissarin auf. »Wie ist das überhaupt - sind Sie jetzt die Polizei oder irgendwie das Gegenteil davon?«
    Ein Handy klingelte. Tamar holte es mit einiger Mühe aus ihrer Jackentasche und klappte es auf.
    »Ja?«
    »Hey! Das ist doch nicht die Elke«, sagte eine Männerstimme. »Habe ich mich verwählt? Hoflach hier.«
    »Haben Sie nicht. Aber wenn Sie Elke erreichen wollen …«
    »Will ich gar nicht. Das sind doch Sie, schöne Kommissarin? Ich wollte Elke fragen, wo ich Sie finde, und nun...«
    »Was ist los?«
    »Ach! Abweisend und schroff wie immer. Ich zerschmelze … Aber können Sie zu mir rauskommen, zur Autowaschanlage im Gewerbegebiet? Es ist nicht zu verfehlen, wir haben das mit Abstand eleganteste Hinweisschild.«
    »Fein. Aber warum?«
    »Ich hab da jemanden … wie soll ich sagen? Festgesetzt hab ich ihn. Kommen Sie doch einfach und schauen Sie sich das selbst an.«
    Tamar klappte das Handy zu und sah Kulitz an. »Tut mir leid. Ich muss mir was anschauen, und sicherheitshalber will ich Sie dabeihaben.«
    »Wie käme ich dazu?«, fragte er entrüstet zurück.
    »Ganz einfach. Sie kommen mit mir, oder Sie erzählen den Jehles, warum die Gabe der Rede plötzlich wieder über Sie gekommen ist.«
     
     
     
    A m Ausgang der Korbmachergasse war ein Einsatzwagen der Bereitschaftspolizei in Stellung gegangen. Ein Beamter mit umgehängter Maschinenpistole stoppte den Daimler, Ramiz ließ die

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