Forellenquintett
noch zwanzig Tage bis zu seiner Pensionierung. Er ging zum Fenster und öffnete es, um ein paar Atemzüge frischer Luft zu schnappen. Ein Wagen fuhr vor, eine Limousine, ein Mann im dunklen Mantel stieg ein, der Fahrer stieß zurück und wendete.
Schatte und sein Chauffeur.
Warum war er nicht mit nach unten gegangen? Er hätte sich von Schattes Fahrer nur die Papiere zeigen lassen müssen. Sollte er eine Streife nach Aeschenhorn schicken? Später.
Das Telefon klingelte.
»In Gottes Namen«, sagte Walliser.
»Wegenast hier«, antwortete eine kühle Stimme. Es klang, als rufe sie aus einer Telefonzelle an. »Hat Oerlinghoff zurückgefunden?«
»Nein.«
»Wir haben ihn an einer Aussichtsplattform am See an Land gelassen, etwa zwei Kilometer westlich von Friedrichshafen.«
»Danke. Sie sollten …«
»Ich danke Ihnen. Haben Sie herausgefunden, wer sich hinter dem Namen Wolf Deutscher verbirgt?«
»Nein. Den will niemand kennen«, antwortete Walliser. »Auch der Staatsschutz nicht. Morgen werde ich mir seine Papiere zeigen lassen. Nein, nicht morgen. Nachher.«
»Lassen Sie die Munitionsbestände überprüfen?«
»Ja, Kollegin, das habe ich auch schon ins Auge gefasst.« Am anderen Ende wurde aufgelegt, und verärgert betrachtete Walliser das Telefon. Wie redete diese Frau mit ihm, oder, noch schlimmer: Wie ließ er da mit sich reden?
Er wählte die Nummer der Einsatzleitung.
E in Selbstmordattentäter hatte in Bagdad ein paar Dutzend Menschen in den Tod gerissen, der Ölpreis zog an, und der DAX war stabil.
Tamar stand vor dem Spiegel, und Marlen hakte ihr den Büstenhalter zu. »Dein Verband ist in Ordnung?«
»Ich denke schon. Ein bisschen angedreckt vielleicht.« Sie horchte auf.
»... ein tragisches Ende«, sagte die Radiosprecherin, »hat die Entführung des Friedrichshafener Polizeidirektors Rupert Max von Oerlinghoff genommen. Der hochrangige Polizeibeamte wurde in den frühen Morgenstunden des Mittwochs in einem Waldstück bei Friedrichshafen tot aufgefunden. Unter Hinweis auf die noch laufenden Ermittlungen wollten Polizei und Staatsanwaltschaft keine weiteren Einzelheiten nennen. Für den späteren Vormittag ist jedoch eine Pressekonferenz angekündigt...«
Tamar suchte im Spiegel Marlens Blick. »Er hat sich aufgehängt«, sagte Marlen. »Dass er das tun würde, war mir schon heute Nacht klar.«
»Und weshalb?«
»Ich hab gesehen, dass er ein Seil mitgenommen hat. Das Seil, das neben seinem Sitz lag.«
»So.« Tamar wandte den Blick ab.
»Hätte ich es ihm wegnehmen sollen? Oder ihm vielleicht noch einen aufmunternden Klaps geben? Direktorchen, es wird sich nicht aufgehängt...«
Tamar schüttelte den Kopf. »Schon gut«, sagte sie dann. »Ich frage mich nur, ob das für diesen Scheißkerl, der sich Deutscher nennt, nicht eine ziemlich gute Nachricht ist.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Weil jetzt niemand den Oerlinghoff mehr fragen kann, warum er Orschach erschossen hat.«
»Kann man sich das nicht ausrechnen?«
»Nur, wenn man es will«, antwortete Tamar. »Das Innenministerium wird den Fall an sich ziehen, und dort wird man nicht wollen. Also muss ich …« Sie brach ab, als müsse sie nachdenken.
»Was musst du?«
»Jetzt doch noch einmal mit diesem Kulitz reden, falls er nicht schon das Weite gesucht hat.«
An der Tür des Doppelzimmers klopfte es, und Elke Schnapphorst schlappte in Strümpfen und mit verquollenen Augen herein. »Wo sind wir hier eigentlich?«
»In der Ferienwohnung der Familie Hoflach, Schätzchen«, antwortete Marlen.
Elke ging zum Fenster und schob die Stores zur Seite. Aus dem Fenster fiel der Blick auf einen Bauerngarten mit blühenden Herbstblumen.
»Scheiße«, sagte sie. »Manchmal kann ich keine Blumen ab. Wo ist Gerd?«
»Autos waschen«, antwortete Marlen. »Sein Kroate ist krank.«
»Und wer fährt mich jetzt zur Arbeit?«
»Nimm ein Taxi«, sagte Marlen. »Ist dein Handy aufgeladen? Dann gib es mir.«
V orsichtig löste Dr. med. Severin Hauerz den Verband. Das Auge, das darunter verborgen gewesen war, blinzelte und tränte im Licht.
»Gut sieht das aus«, sagte Dr. Hauerz, »ich glaube, wir können da ganz beruhigt sein!«
»Gar nichts sehe ich«, protestierte Hirrlinger, »kaputt ist das Auge, eingeschlagen haben sie es mir, diese Polizisten, das darf ich gar nicht sagen, was das für Polizisten sind, aber Sie, Herr Doktor, Sie müssen die Wahrheit sagen und mir einen Schein schreiben …« Er griff wild suchend
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