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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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geht, und dann war ein Stau, den hat es am Nachmittag immer, und wie ich schließlich hier war, bin ich nicht einmal in meine eigene Wohnung gekommen. Die war versiegelt, weißt du? Und die Fedora hat mich gleich beim Eingang abgefangen, ich musste bei ihr warten, bis dieser... dieser Kollege von dir kam und sich meinen Pass angesehen hat, als stehe da weiß Wunder was darin. Schließlich hat er mich ganz blöd gefragt, ob ich mir meine Wohnung ansehen will, und ich hab ihm gesagt, weswegen sonst ich wohl von London hierhergeflogen sei, und wir sind hochgegangen, und er hat die Siegel abgemacht.« Sie schwieg und sah Tamar an, mit einem Blick, der trotzig war oder herausfordernd. »So war das.«
    »Und dann?«, fragte Tamar. »Was war hinter der Tür?«
    »Was soll da gewesen sein?«, fragte Hannah zurück. »Eigentlich war gar nichts. Nur im Bad.« Sie griff wieder nach ihrer Sonnenbrille, setzte sie dann aber doch nicht auf. »Das ganze Bad war voll Blut. Wie damals, weißt du, als mein Vater diese Sachen gemacht hat. Und dann haben sie mich mitgenommen und mir die Frau gezeigt, die sie aus meiner Wanne geholt haben.«
    »Du meinst Milena?«
    Hannah zuckte mit den Schultern. »Ja. Nein. Woher soll ich das wissen? Ich habe nie mit ihr geschlafen. Und einen Kopf hatte diese Frau nicht. Der war ab, verstehst du?«
     
     
     
    M it kleinen energischen Schritten betrat die Oberärztin Dr. Marielouise Capotta ihr Sprechzimmer und warf die Tür hinter sich zu. Der Mann, der auf dem Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch wartete, zuckte zusammen.
    Also war er jedenfalls nicht taub. Das war zwar schon bei den vorhergegangenen Untersuchungen herausgefunden worden, aber Marielouise Capotta überzeugte sich gern selbst.
    Sie trat zu dem Mann hin und streckte ihm die Hand entgegen. Er starrte darauf wie auf einen unbekannten Gegenstand. Spiel mir nicht den Idioten!, dachte sie, und der Mann stand auf, als hätte er ihren Gedanken gelesen, und legte gehorsam eine lasche ausdruckslose Hand in die ihre.
    Marielouise Capotta nannte ihren Namen. »Ich bin die Oberärztin der Abteilung, in der Sie vorläufig aufgenommen wurden. Was macht die Verletzung?« Sie fasste ihn am Kinn und drehte seinen Kopf etwas zur Seite, so dass sie die Naht begutachten konnte, mit der die Platzwunde auf seiner Stirn geschlossen worden war. Der Mann war kaum größer als sie, asthenische Statur, schmaler Kopf, kleine, gut ausgebildete Ohren, der Gesichtsausdruck aufmerksam, die Augen abwartend.
    »Das scheint soweit in Ordnung zu sein.« Sie ging um den Schreibtisch und setzte sich. Der Mann stand noch immer. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihm, sich zu setzen, und er folgte. »Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, aber damit wir nichts versäumen, werde ich Ihnen alles erklären, was Sie betrifft.« Sie zeigte ihm ein rasches Lächeln, das ihre vom Lippenstift verfärbten Vorderzähne freilegte. »In unserer Morgenkonferenz haben wir lange über Sie gesprochen, und es hat sehr starke Bedenken gegeben, Sie hier zu behalten. Die Polizei scheint Sie für einen Betrüger zu halten, für jemand, der vertuschen will, dass er illegal eingereist ist. Ich war zuerst geneigt, ihr zu glauben, und zwar deshalb, weil aus Ihren Kleidern und der Unterwäsche sämtliche Etiketten mit einer Sorgfalt herausgetrennt sind, die nur jemand aufbringt, der seine Herkunft verschleiern will.«
    Sie betrachtete den Mann, den man in der Abteilung auf Vorschlag eines Pflegers Andreas getauft hatte, weil er ja doch ein Anderer sei. Andreas schien ihr weniger zuzuhören, als ihr auf den Mund zu sehen. Unauffällig holte sie ein Taschentuch heraus und wischte sich die Zähne ab, bevor sie die Klarsichtmappe mit ihren Unterlagen aufschlug.
    »Na gut«, fuhr sie fort. »Zwei Umstände sprechen gegen die Annahme der Polizei. Erstens: Sie haben ein halbwegs saniertes Gebiss, und die Plomben sowie die Brücke rechts unten scheinen die Arbeit eines deutschen Zahnarztes gewesen zu sein, wie mir der Kollege aus der Zahnmedizin bestätigt, der Sie heute Morgen untersucht hat. Also sind Sie möglicherweise ein deutscher Staatsangehöriger und demnach nicht illegal eingereist. Zweitens: Ihre Kopfverletzung. Die haben Sie sich kaum selbst zugefügt oder freiwillig zufügen lassen. Wir können also nicht widerlegen, dass Sie tatsächlich von einer Amnesie betroffen sind, von einem Gedächtnisverlust, und vielleicht wirklich nicht wissen, wer Sie sind. Und solange uns niemand sagen kann,

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