Forellenquintett
eine Barockkirche, ich glaube, sie gehört den Jesuiten.«
Tamar vermied es, zu ihr hinzusehen. »Das ist lieb«, antwortete sie vorsichtig.
»Wir könnten heute Abend dort auch essen«, fuhr Hannah fort. »Vielleicht hast du dann bereits nach meinen Sachen geschaut, es wäre mir wirklich recht, wenn ich bald wieder darüber verfügen könnte, schließlich kann man von mir nicht verlangen, dass ich in dieser Wohnung bleibe.«
»Niemand verlangt das«, sagte Tamar besänftigend.
»Du wirst mit den...« Hannah unterbrach sich, den Blick noch immer starr nach vorne gerichtet, als studiere sie den kümmerlichen Pferdeschwanz, zu dem der Fahrer sein dünnes flachsblondes Haar gebunden hatte. »Du wirst mit deinen Kollegen von hier sprechen?«
»Ich muss es sogar«, antwortete Tamar. Offenbar fürchtete Hannah, der Fahrer könnte sie verstehen. »Einer von ihnen wird mich im Hotel abholen.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein«, sagte Tamar. Es klang schroffer, als sie es beabsichtigt hatte.
»Die könnten dir aber sonst was erzählen.«
»Wenn sie das tun, muss ich es mir anhören.«
»Ich verstehe«, sagte Hannah, »das kleine Mädchen soll auf sein Zimmer gehen und warten, bis Tamar alles aufgeklärt hat und die Bösen eingesperrt sind.«
Tamar antwortete nichts. Nicht auch noch eine Szene! Sie fuhren inzwischen auf einer Stadtautobahn, links und rechts gesäumt von den Werbetafeln der Einkaufsmärkte. Es war früher Nachmittag, das Taxi kam so zügig voran, wie es das ausgeleierte Getriebe zuließ. Auf dem Ring, der die Krakauer Altstadt umgibt, fuhren sie von Osten her auf den Wawel zu, um dann nach rechts abzubiegen, in ein Quartier mit großen, aristokratisch anmutenden und sichtbar erst in den letzten Jahren restaurierten Stadthäusern. Hannah wies auf eines von ihnen. »Hier wohnte Wojtyla, als er noch Bischof von Krakau war oder Kardinal, so genau weiß ich so was nie«, bemerkte sie mit einer Stimme, die wieder die eines kleinen Mädchens war, das so tut, als sei es altklug.
»Nett«, antwortete Tamar.
Hannah sah wieder geradeaus. »Weiß man eigentlich, wo mein Vater ist?«
Tamar runzelte die Stirn. »In Bruchsal, denke ich. Jedenfalls weiß ich von keiner Verlegung. Warum fragst du?«
»Nur so«, antwortete Hannah.
Das Taxi hielt vor einem Hotel, das gegenüber einer großen, klassizistisch-hässlichen Kirche stand. Hannah bestand darauf, den Fahrer zu bezahlen, und zwar in Złoty und nicht in Euro. Das Hotel zeigte die in Marmorböden, Kristallspiegeln und polierten Messingbeschlägen blinkende Eleganz der Nachwendezeit. Ein untersetzter, kurzhalsiger Hotelboy wollte Tamars Reisetasche nehmen, sie unterband es mit einer knappen abweisenden Geste und drückte ihm dafür zwei Euro in die Hand. Einen Augenblick später war es ihr peinlich, nur wusste sie nicht, ob es wegen der Zurückweisung war oder der Euro-Münze.
Ihr Zimmer war hell, in Weiß und Grün und Gold eingerichtet, und sah mit seinem Doppelbett für Tamars Geschmack ein wenig sehr nach der Suite für die Hochzeitsreisenden aus.
Hannah hatte ihren Blick bemerkt. »Mein Zimmer ist einen Stock höher«, stellte sie klar und setzte sich in ein weiß-grüngoldenes Sesselchen. Erst jetzt nahm sie ihre Sonnenbrille ab und sah zu Tamar hoch, die an eines der beiden Fenster getreten war, durch die man auf die Kirche sah. Hannahs Blick war verschleiert, ihre Augen waren rot geädert.
»Bestimmt sehe ich furchtbar aus.«
Tamar setzte sich ihr gegenüber. »Ich bin sehr froh, dass du mich sofort angerufen hast. Aber jetzt muss ich ein wenig mehr wissen.«
»Es gibt aber nicht viel zu erzählen.« Hannah hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Wir haben ein bisschen telefoniert, du hast mich angerufen und ich die Fedora, das ist die Concierge, und dann hat die Fedora zurückgerufen und hat in einem fort geschrien, und dann hab ich der Vicky gesagt, sie muss die Vernissage allein vorbereiten, sie findet übrigens übermorgen statt, magst du mitkommen? Vickys Stammkundschaft ist freilich sehr high brow... «
Tamar legte den Kopf ein wenig schief. Das ist noch sehr die Frage, dachte sie, wer übermorgen in London wird sein können.
»Du bist dann also zurückgeflogen, zurück nach Krakau. Und dann?«
»Erst mal hab ich froh sein müssen, dass ich überhaupt einen Flieger bekommen hab, und dann hab ich ein Taxi genommen und hab dem Fahrer gesagt, er soll schneller fahren, und der Fahrer hat gesagt, dass er so schnell fährt, wie es
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