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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Monitor liefen Messskalen auf und vervollständigten sich, dann hörte man, wie sich draußen stockend ein Mechanismus in Gang setzte, die Polizistin Marlen Ruoff wandte sich zur Tür, schnaubend ließ die Anlage ein paar letzte Schaumwolken entweichen, Räder setzten sich in Bewegung, und mit erleichtertem Rumpeln stieß die Waschstraße einen Klumpen aus, der von dichtem Schaum eingehüllt war. Der Klumpen schob sich ein paar Meter auf die Straße hinaus und blieb dann stehen.
    »Macht mal den Schaum da weg«, befahl Marlen Ruoff, und Dragutinovic lief in den Maschinenraum und kam mit einem Schlauch zurück.
    »Moment«, sagte Hoflach. Ein Keuchen und Spucken war zu hören, und aus den Schaumwolken löste sich eine Gestalt, die mit beiden Armen ruderte und um sich schlug. Die Gestalt näherte sich der Gruppe, die vor dem Maschinenraum stand. Mit flatternden Händen versuchte Dragutinovic, den Schlauch anzuschließen. Satzbrocken wurden hörbar. Sie klangen undeutlich und hohl.
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte die Polizistin. »Brauchen Sie Hilfe?«
    »Hilfe? Ich?«, fragte die Stimme zurück, die man allmählich zu verstehen begann. »Diese Herren da...« Ein Husten und Spucken unterbrach den angefangenen Satz.
    Dragutinovic hatte den Schlauch angeschlossen. Ein Wasserstrahl schoss hoch und senkte sich auf die Gestalt und traf sie in Höhe des Brustkorbs. Schaumfetzen spritzten weg, der Wasserstrahl legte einen gelben Rollkragenpullover frei und ließ die blauen Rockschöße eines Blazers aufflattern. Die Gestalt begann zu straucheln, dann kippte sie nach hinten und kam - sich rückwärts mit den Händen abstützend - auf dem von Schaum und Wasser überschwemmten Boden zu sitzen. Die letzten Schaumfetzen lösten sich, das Gesicht eines älteren, nein: alten Mannes wurde sichtbar, dessen langes weißes Haar ihm in nassen Strähnen fast bis auf die Schultern hing.
    »Das ist...«, setzte Hoflach an.
    »... der Herr Professor Windisch«, vollendete die Polizistin den Satz. »Wenn etwas blöd läuft, läuft es gern besonders blöd.«
     
     
     
    Z ur JVA«, sagte Tamar und legte den Sicherheitsgurt an.
    »Ist recht«, sagte der Fahrer und drehte den Zündschlüssel um. Der Dieselmotor sprang an. »Wenn ich nicht draußen warten muss, bis man Sie wieder rauslässt.«
    »Haben Sie was gegen den Ort?«, fragte Tamar zurück.
    »Gott bewahre«, antwortete der Fahrer und fädelte sich in den Verkehr auf der Straße vor dem Bahnhof ein. »Hab nur ein Späßchen gemacht. Sie sind ja nicht die einzige Kundschaft, die dort Besuche machen kommt.«
    Tamar lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie war müde, hatte schlecht geschlafen und keine Lust, über die Kundschaft Bruchsaler Taxifahrer zu plaudern. Gestern Abend war sie nach der Landung in Rhein-Main noch mit dem Zug bis Heidelberg gefahren, um sich dort in einem kleinen Hotel die halbe Nacht über die zweieinhalb Tage zu ärgern, die sie in London verbracht hatte. Hannahs Vernissage war ein Erfolg gewesen oder vielleicht auch nicht, Tamar konnte es nicht abschätzen. Gewiss, es waren genug Leute da gewesen, aber ob sie wohlwollend waren oder wirklich beeindruckt oder nur so taten, das hätte Tamar nicht zu beantworten gewusst. Vielleicht hatten die winzigen Miniaturen Hannahs das Glück, dass irgendjemand mit großen Formaten gerade entsetzlich out war oder dass die bleiern angsterfüllte Zeit der frühen achtziger Jahre jetzt, nach bald einem Vierteljahrhundert, aus irgendeinem Grunde camp geworden war.
    Hannah hatte von ihr jedenfalls keine Rückmeldung erwartet, zum Glück nicht, und wenn Tamar ehrlich war, dann hatte Hannah von ihr in London nicht nur nichts hören, sondern auch nichts sehen wollen.
    »Es ist lieb von dir, dass du mich beschützen willst, aber meinst du nicht, dass die Leute von Scotland Yard das vielleicht doch besser können?«
    Das Taxi hielt, Tamar bezahlte und stieg aus. Die Justizvollzugsanstalt Bruchsal ist kein Ort, der irgendjemanden willkommen heißen würde. In den letzten Jahren war zudem ihre Abscheu vor Haftanstalten immer größer geworden, oder jedenfalls davor, dort jemanden zu vernehmen. Einen Verdächtigen zu verhören, das war eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe, vielleicht sogar so etwas wie eine Partie Schach, wenn sie denn Schach spielen würde. Aber das Gespräch mit einem Gefangenen, der für die Dauer ebendieses Gespräches, für eine viertel oder halbe Stunde also, aus dem Räderwerk der Strafverbüßung

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