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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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unterbrach sich und hob ihre beiden Hände mit den langgliedrigen Fingern hoch, als wolle sie das ausgebreitete Rund abgegriffener Karten segnen. »Also, das hab ich jetzt wirklich nicht erwartet, da kommt die Herz-Sieben...« Sie lehnte sich zurück und streifte sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht. »Da weiß ich ja selbst nicht, was ich sagen soll, weißt du, das ist auch in meinem Beruf ganz ganz selten, dass alle Anzeichen so sehr auf eine dramatische Veränderung hinweisen, oder genauer: dass sie eine Veränderung wollen.«
    Elisabeth beugte sich nach vorn. »Sie meinen... du meinst, dass das in der Zeitung...?«
    Walburga schüttelte unwillig den Kopf und ihre Mähne. »Nein, was in dieser Zeitung steht, davon wollen meine Karten nichts wissen, und sie sagen dir auch nicht, ob das wahr ist oder gelogen. Meine Karten können nur eins, und das auch nur, wenn sie wollen, manchmal wollen sie nämlich nicht: Sie sagen dir, was du tun kannst. Und glaube mir, meine Karten mögen die Elisabeth, und weißt du, was sie der Elisabeth jetzt sagen?«
    »Ich glaube, das musst du mir erklären...«
    »Sie sagen der Elisabeth, dass die Zeit der Kreuz-Sechsen und der Pik-Vieren vorbei ist, und damit ist auch das graue Meer des Wartens überquert, und dass die Elisabeth jetzt selbst etwas tun und unternehmen wird.«
    »Meinst du?«
    »Aber ja doch, du Ungläubige!« Unvermittelt lachte Walburga auf. »Da liegt sie doch, die Herz-Sieben, du siehst es mit deinen eigenen Augen, also geh hin und gib dir selbst einen Tritt in den Hintern! Nur...« So plötzlich, wie sie zu lachen begonnen hatte, wurde sie ernst. »Ob du damit glücklich wirst und ob das alles ein gutes Ende finden wird, das weiß man nie. Das ist nun einmal so mit Kindern.«
     
     
     
    A uch die Kirchgasse hatte vor einigen Jahren im Zuge der Restaurierung des alten Ortskerns wieder ein Kopfsteinpflaster erhalten, so dass Martin Jehle es vorzog, nicht viel schneller als Schritttempo zu fahren. Das hatte mit den Stoßdämpfern seines Opels zu tun, nicht, weil er groß Ausschau zu halten gehabt hätte. Das Fahrrad mit dem Einkaufskorb auf dem Gepäckträger, das am Zaun des kleinen Häuschens gegenüber dem Alten Schulhaus lehnte, hatte er sofort gesehen. Wo sonst hätte sie auch sein sollen! Unwillig schüttelte Jehle den Kopf und fuhr weiter. Vom Gewerbegebiet bog ein Streifenwagen ein und überholte ihn - auf dem Zubringer zur Bundesstraße gab es wie üblich einen Rückstau von der Einmündung her -, aber der Streifenwagen setzte Blaulicht und zog am Stau vorbei, so ist das eben, es gibt eine Straßenverkehrsordnung für die einen und eine für die anderen.
    Bei der ersten Abzweigung Friedrichshafen nahm Martin Jehle die Ausfahrt zum Fährehafen, weil es dort Parkplätze gab, die nichts kosteten. Erst als er an der Reihe der bereits belegten Stellplätze vorbeifuhr, fiel ihm ein, dass die Polizeidirektion umgezogen war. Vor zwei oder drei Jahren war das wohl schon gewesen, sie residierte jetzt in einem neuen Behördenkomplex. Es war ihm aufgefallen, weil auch das Finanzamt dort einen Neubau bezogen hatte, alles auf einem Platz, was die Leute freut! Merkwürdig nur, dass er seinen Irrtum fast mit Erleichterung aufgenommen hatte. So musste er nicht wieder dorthin, in das staubige graue Zimmerchen des Hauptkommissars Walliser, Ihr, die ihr eintretet...
    Die Parkplätze von Finanzamt und Polizeidirektion waren belegt, selbstverständlich kann der Staat für das Geld der Steuerzahler diesen nicht auch noch Besucherparkplätze einrichten, wo kämen wir da hin! Jehle musste um einen Block fahren, bis er einen freien Platz fand, zog ein Parkticket und ging - seine Ledermappe unterm Arm - über die dicht befahrene Straße zurück zum neuen Behördenzentrum aus Glas und Stahl und weißem Mauerwerk. Auf der Mittellinie musste er warten, bis er über den zweiten Teil der Fahrbahn kam. Für einen Fußgängerüberweg hatte der Staat kein Geld mehr gehabt und die Stadt auch nicht, oder es hatte niemand daran gedacht, es sind die kleinen Dinge, in denen die große Dummheit sichtbar wird.
    Was wollte er eigentlich bei der Polizei? Ob der Herr Walliser zu sprechen sei? Aber das war siebzehn Jahre her, und der hatte schon damals diesen müden, gleichgültigen Zug im Gesicht gehabt.
    Eine junge stämmige Frau in Uniform, deren krauses schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden war, kam aus der anderen Richtung auf das Eingangsportal der Polizeidirektion zu und

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