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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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funktionierten. Neben den Schulbüchern standen Klaviernoten, natürlich Czernys »Schule der Geläufigkeit« und Clementis »Gradus ad Parnassum«, Bachs Fantasien, Präludien und Fugen, daneben die Fantasie Sonate in c-Moll von Mozart, für einen Anfänger ein bisschen ehrgeizig, dachte er.
    Die Comics standen ganz unten, und er setzte sich - noch im Pyjama - daneben. Offenbar alle Asterix-Bände von Goscinny, Tim und Struppi auch ziemlich komplett, Sammelalben von Mickey und Donald... Na ja, dachte er, die angepassteren Sachen eben und genau das, was sich ein braver Klavierschüler im elterlichen Laden aussuchen darf.
    Er griff nach oben und zog den Biologieband heraus, um zu sehen, bei welchen Seiten er sich von selbst aufschlagen würde. Der Band hatte einen Schutzumschlag aus Klarsichtfolie mit dem aufgeklebten Namensschild: »Bastian Jehle«.
    Von unten hörte er Schritte. Jemand kam die Treppe herauf. Hastig stellte er das Biologiebuch zurück und griff sich das Notenheft mit der Mozart-Sonate. Die Schritte näherten sich der Tür, es klopfte. Er antwortete nicht, sondern zählte für sich bis drei, dann öffnete sich die Tür.
    »Guten Morgen, Bastian«, sagte die Alte Frau, die ein Kleid in den Farben des Herbstes trug, »ich hoffe, du hast gut geschlafen.«
     
     
     
    F assen wir zusammen«, sagte der Leitende Polizeidirektor von Oerlinghoff und nickte dem grauhaarigen Mann zu, der neben ihm saß. »Kulitz, Ansgar, zweiunddreißig Jahre, geboren in Offenbach, Musiker, zuletzt wohnhaft in Frankfurt/Main...«
    Der Grauhaarige hatte verdrossen, aber gehorsam seinen Notizblock aufgeschlagen und schrieb mit.
    Oerlinghoff betrachtete währenddessen noch immer die beiden Fotos, die er vor sich auf dem Besprechungstisch liegen hatte, beide gleich weit und im gleichen rechten Winkel von der Tischkante entfernt. In diesem Chefbüro mit der polierten leeren Schreibtischplatte konnten sie anders nicht ausgelegt sein, ebenso wie die beiden silbernen Plaketten, erste Preise eines Schießwettbewerbs des Innenministeriums, in exakt gleicher Höhe den Besuchertisch flankierten. Bei dem einen Bild handelte es sich um ein Polizeifoto von dem Unbekannten aus der Charité, das andere zeigte einen Klavierspieler. Der Pianist, der langes Haar und ein dünnes Bärtchen trug, schien lachend zum Publikum oder zum Fotografen zu blicken, der Unbekannte trug die Haare kurz geschnitten, hatte über der Stirn einen Verband und starrte vor sich hin.
    »Das kann der gleiche Mann sein, muss es aber nicht.«
    Oerlinghoff sah zu seinem Gegenüber auf, der Ulmer Hauptkommissarin Tamar Wegenast, die an diesem Vormittag in die Polizeidirektion Friedrichshafen/Bodensee gekommen war.
    »Und die Daten?«
    Tamar nickte. »Am Montag, sechsundzwanzigsten September befindet sich Ansgar Kulitz« - sie deutete auf den Pianisten - »mit seiner Partnerin Grützke-Tausendblum auf der Rückfahrt von einem Gastspiel in Krakau. Die Stimmung zwischen den beiden ist gespannt, irgendwo zwischen Krakau und Kattowitz kommt es zum Streit, dessen Anlass offenbar eine größere Menge Methamphetamin ist, die das Paar mit sich führt. Kulitz wird an die frische Luft gesetzt. Von da an ist er verschwunden. Aber sechsunddreißig Stunden später, in der Nacht zum Mittwoch, den achtundzwanzigsten September, taucht dieser Mann« - sie deutete auf das Polizeifoto - »in Berlin auf und wird in der Nähe des Sony-Centers von Unbekannten niedergeschlagen. Bei dem Versuch, Hinweise auf seine Identität zu finden, entdecken die Berliner Ermittler Spuren von Methamphetamin bei ihm. Mehrere Tage später, am sechsten Oktober, berichtet der ›Express‹ über den Unbekannten aus der Charité und nennt ihn einen genialen Pianisten. Die Partnerin von Kulitz, Tabea Grützke-Tausendblum, hält diesen Artikel für so wichtig, dass sie die Seite aufbewahrt.«
    Sie hörte auf zu sprechen und wartete, bis der Grauhaarige neben Oerlinghoff mit seinen Notizen nachgekommen war.
    »Das ist alles?«, fragte Oerlinghoff.
    »Das ist alles«, antwortete Tamar.
    »Damit glauben Sie also beweisen zu können, dass es sich bei Kulitz um jenen Berliner Unbekannten handelt?«
    Oerlinghoff, ein drahtiger, kaum mittelgroßer Mann, dessen Dienstuniform so perfekt saß, dass sie maßgeschneidert sein musste, betrachtete Tamar mit einem unbewegten Blick aus blassblauen, leicht hervorstehenden Augen. Der Blick schien keinerlei Zweifel oder gar Skepsis zu verraten.
    »Beweisen?«, fragte Tamar zurück und

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