Forellenquintett
schüttelte den Kopf. »Ich bin weit entfernt davon, Beweise zu haben.«
»Das ist jetzt einmal ein wahres Wort«, warf Norbert Walliser ein, der grauhaarige Mann neben Oerlinghoff. Hauptkommissar Walliser war Leiter des Dezernates I der Polizeidirektion Friedrichshafen.
»Was also schlagen Sie vor?« Noch immer hielt Oerlinghoff seinen Blick auf sie gerichtet. »Dass wir nach Aeschenhorn fahren und die Familie Jehle mit Ihren Informationen konfrontieren?« Es schien Tamar, als höre sie aus seinen Worten einen Anflug von Ironie heraus.
»Ich habe Ihnen nichts vorzuschlagen«, antwortete sie. »Außerdem ist es sehr die Frage, wie Sie oder wie Kollege Walliser ein Vorsprechen bei dieser Familie würden begründen können. Gegen Kulitz - wenn meine Vermutung überhaupt zutrifft und er es auch tatsächlich ist - liegt im Augenblick nichts vor. Wir könnten ihm nicht einmal vorwerfen, er habe sich fälschlicherweise als der vermisste Sohn dieser Familie ausgegeben. Wie mir seine Ärztin am Telefon bestätigt hat, redet er buchstäblich nichts, hat sich also auch für nichts ausgegeben. Es sind die Eltern, die ihn aus völlig freien Stücken identifiziert haben.«
»Eben«, sagte Walliser. »Und mich werden Sie nicht dazu bringen, diesen Leuten den Star zu stechen. In meinen letzten drei Dienstwochen tu ich mir so etwas nicht mehr an.« Walliser ging zum Monatsende in den Ruhestand, es war das Erste gewesen, was er Tamar an diesem Morgen mitgeteilt hatte. »Siebzehn Jahre schon liegt mir diese Geschichte auf dem Magen, und jetzt...«
»Dafür haben wir volles Verständnis«, unterbrach ihn Oerlinghoff. »Aber ich würde jetzt doch von unserer Ulmer Kollegin gerne den eigentlichen Grund für ihren Besuch erfahren.«
Erneut griff Tamar in ihre Mappe und holte das Foto heraus, das den abgetrennten Kopf der Milena Kwiatkowski zeigte. Oerlinghoff nahm den Abzug, betrachtete ihn und wollte ihn zwischen die beiden anderen Fotografien legen. Dann reichte er ihn aber doch an Walliser weiter und wandte sich wieder an Tamar. »Was hat Kulitz mit dieser Sache zu tun?«
Tamar berichtete, was sie von dem Tod der Milena Kwiatkowski wusste. »Der Kopf«, so fügte sie hinzu, »wurde aus einem Grund, den ich nicht kenne, nach Kattowitz gebracht und dort in einer Kirche deponiert, in einem Beichtstuhl.«
»Im Auftrag von diesem Zuhälter?«, fragte Oerlinghoff, diesmal unverhohlen skeptisch. »Und er hat Kulitz als Kurier benutzt?«
Tamar breitete die Hände aus. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es eine merkwürdige Übereinstimmung von Weg und Zeit gibt.«
»Wo, sagten Sie, wurde der Kopf abgelegt? In einem Beichtstuhl?« Oerlinghoff runzelte die Stirn. »Ich nehme an, Hochwürden wasn’t amused? «
»Nein«, bestätigte Tamar, »das war er nicht. Angeblich hat der Pfarrer ein Problem mit Frauen.«
»Eine obszöne Anspielung also.« Oerlinghoff zuckte mit den Schultern. »Das allerdings könnte ein kleiner Scherz von Zuhältern sein. Gibt es denn irgendeine Beziehung dieser Milena nach Kattowitz?«
Tamar schüttelte den Kopf. »Sie kam aus Masuren.«
Oerlinghoff fletschte die Zähne zu einer Grimasse. »Das deutet mir alles, werte Kollegin, doch sehr auf eine innerpolnische Veranstaltung hin.«
»Die polnischen Kollegen sehen das anders«, antwortete Tamar und griff, schon wieder, in ihre Mappe. »Dieser Mann ist vor dem Mord gesehen worden. Er war dabei, sich zu dem Haus Zutritt zu verschaffen, in dem Milena wohnte.« Sie legte Oerlinghoff das Phantombild vor. »Die Polen behaupten, der Mann könnte ein Deutscher sein.«
»Was für ein Deutscher?«
»Ein Rocker«, antwortete Tamar. »Irgendetwas in der Art. Ein Angehöriger einer Motorrad-Gang.«
Oerlinghoff nahm das Phantombild, sah es sich kurz an und reichte es an Walliser weiter. Dann kehrte sein Blick zu Tamar zurück. Er betrachtete sie prüfend, als habe er eine Entscheidung zu treffen. Schweigen senkte sich über die Runde und wurde fast drückend, bis Oerlinghoff den Blick löste, auf seine Armbanduhr sah und unvermittelt aufstand. »Tut mir leid«, sagte er, »wir müssen jetzt abbrechen, ich erwarte einen Anruf.« Er reichte Tamar die Hand. »Essen Sie mit mir zu Mittag? Wir könnten dabei einige Fragen klären, die sich mir doch noch aufgedrängt haben.«
Z um Frühstück hatte es Rührei gegeben, aber der Kaffee war nicht zu trinken. Weil er seine Tasse stehen ließ, hatte ihm die Alte Frau durchaus einen Kakao machen wollen.
»Lass
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