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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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mal«, hatte der Alte Mann gesagt, »vielleicht will er bloß Zucker in seinen Kaffee.« Den hatte er dann auch bekommen.
    Jetzt standen sie - er und die Alte Frau - in der Küche, sie spülte, und er hatte sich dazu gestellt und trocknete ab. Es schien ihr zu gefallen, aber sie begann, ihn von der Seite her zu mustern.
    »Wir müssen dir heute ein paar Sachen zum Anziehen kaufen«, hörte er sie sagen. »Ein Paar richtige Hosen, weißt du, und auch einen Pullover oder zwei, und einen Sakko, oder vielleicht doch gleich einen richtigen Anzug...«
    Er sah sie an und wandte sich dem Besteck zu. Die Alte Frau würde ihm Hosen kaufen. Und? Er würde mitgehen müssen. Aus dem Haus hinaus und auf die Straße und an den Leuten vorbei. Aber das hier war ein Urlaubsort. Den Leuten würden Fotoapparate vor dem Bauch baumeln. Oder es lauerte sowieso einer vom »Express« vor dem Haus. Plötzlich wurde ihm heiß.
    Aber durften die das? So, wie er die Doktorin verstanden hatte, war er offiziell noch immer Patient der Charité, wenn auch probehalber beurlaubt. Er musste die Doktorin anrufen. Wenn einer psychiatrisiert ist, dann darf die Presse von dem kein Foto bringen: Hier sehen Sie den Herrn Sowieso, der ist nicht ganz richtig im Kopf. Die Doktorin würde es unterbinden...
    Dann ging ihm auf, dass er niemanden anrufen würde.
    Das Telefon schlug an, es war ein Hausanruf, kam offenbar von unten aus dem Laden, die Alte Frau hörte zu, mit misstrauischem Gesicht, und warf einen besorgten Blick auf ihn.
    »Ich weiß nicht, ob das gut für ihn ist, und ich bin auch gar nicht dafür angezogen...«
    Schließlich legte sie auf und wandte sich ihm zu. Er war gerade dabei, das Besteck in die Schubladen zu legen. Was sollte gut oder vielleicht nicht so gut für ihn sein?
    »Da kommt jetzt Besuch, das hat aber gar nichts zu bedeuten, die wollen nur Grüß Gott sagen«, sagte sie und zog eine weitere Schublade auf, »das Brotmesser kommt hier rein.«
    Besuch, das hörte sich überhaupt nicht gut an. Er überlegte, ob er nicht einfach nach oben ins Kinderzimmer laufen und sich ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen sollte. Aber dann würde die Alte Frau sofort wissen, dass er das Wort Besuch verstand. Und das eine Wort gibt das andere, hieß es nicht so?
    Außerdem war es ohnehin zu spät, Schritte kamen die Treppe herauf, es war eine ganze Gruppe von Leuten, die das Wohnzimmer ansteuerte, die Alte Frau legte die Küchenschürze ab und schob ihn vor sich her, ebenfalls ins Wohnzimmer, wo der Alte Mann mit gerötetem Kopf neben einem Mann in einem Trachtenanzug stand, der wiederum überragt wurde von einem Menschen mit langen weißen Haaren. Eine Frau drängte sich vor, sie hielt einen mächtigen Blumenstrauß in beiden Armen, eigentlich ein ganzes Bukett, vermutlich war er es, der ihr das Zeug abnehmen sollte, aber er ließ einfach die Arme hängen, und so musste die Alte Frau das Bukett entsorgen, so dass die Besucherin sich nun ganz auf ihn stürzen und in ihre beiden mageren Arme schließen konnte:
    »Mein lieber lieber Bastian, wie unbeschreiblich glücklich wir alle sind...«
    Dann küsste sie ihn abwechselnd auf beide Wangen, und in ihrem mageren Gesicht leuchteten hektisch die Wangenknochen.
    »Das ist Alma Frogesser, Bastian«, sagte die Alte Frau, »sie ist die Mutter von Audrey, du erinnerst dich sicher, ganz sicher wirst du dich erinnern, ihr und Audrey seid ja zusammen in die Schule gegangen.«
    »Ja«, fiel die Besucherin ein, »und jetzt ist sie schon zweifache Mutter, vor drei Monaten...«
    Dann fand es der Alte Mann an der Zeit einzugreifen, er räusperte sich, berührte ihn leicht an der Schulter und schob ihn zu dem Mann im Trachtenanzug, der seine Hand nahm und sie anhaltend schüttelte. Das sei der Herr Bürgermeister Innertshofer, erklärte der Alte Mann, und Innertshofer schüttelte weiter die Hand, die er erbeutet hatte, und sagte, sie beide seien sich noch nicht bekannt:
    »Das ist vor meiner Zeit gewesen, dass Sie... äh...« Er musste nicht weitersprechen, denn der dritte Besucher, der Weißhaarige, schob sich jetzt mit ausgebreiteten Armen nach vorne! »Aber an mich wirst du dich erinnern«, sagte er mit erkälteter Stimme und tätschelte ihm beide Schultern, »verzeih, wenn ich dich duze, aber wir beide sind Künstler, und du, du bist ja mein Schüler, auf den ich stolz sein darf...«
    Die Arme des Weißhaarigen machten Anstalten, sich um ihn zu schließen. Es gab Berührungen, die er nicht ertrug. Das

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