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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ausholende Bewegung, als wolle er den ganzen Bodensee in seinen Vortrag einbeziehen. »Stellen Sie sich doch einmal vor, wie lange die Menschen schon am See siedeln, wie viele Generationen hier gelebt und ihre Geheimnisse in ihm versenkt haben oder auch diejenigen ihrer lieben Mitmenschen, die sie nicht mehr sehen wollten.«
    »Ich hoffe doch sehr«, meinte Tamar, »dass das Versenken von Mitmenschen hier weniger üblich ist, als Sie es gerade anklingen lassen. Warum übrigens haben Sie vorhin von dem Interesse gesprochen, das ein Kriminalist empfinden müsse? Es klang, als seien Sie selbst keiner.«
    »Bin ich auch nicht«, kam die Antwort. »Ich bin Polizist. Ein Ordnungshüter.«
    »Was ist der Unterschied?«
    »Ich muss nicht unbedingt wissen, wer was und warum getan hat. Ich bin nicht für die Wahrheit zuständig, sondern für die Ruhe. Dafür, dass die Leute einen guten Schlaf haben.«
    »Mancher kann erst ruhig schlafen, wenn er die Wahrheit weiß«, antwortete Tamar und gab ihre Bestellung auf - Reis mit Gemüse und Jasmintee. Dann beugte sie sich vor und fragte in beiläufigem Ton: »Hatten Sie nicht noch Fragen?«
    »Ja«, kam die Antwort. »Einige habe ich mir allerdings bereits beantworten lassen.« Oerlinghoff lächelte knapp. »Auch unsereins hat seine informellen Kontakte.«
    Nett, dachte Tamar. Du hast dir meine Personalakte vorlesen lassen. Gibt’s was Neues über meine Frauengeschichten?
    »Das Methamphetamin dieser beiden reisenden Musikanten hat mich interessiert«, fuhr er fort. »Klingt so schön neumodisch, dabei ist es nur das gute alte Pervitin der deutschen Wehrmacht... Mein Großvater hat mir einmal davon erzählt, du spürst keinen Hunger mehr und keinen Durst, und mit deinen drei letzten Panzern fegst du durch Lichterfelde und schmeißt den Iwan aus Berlin, Sieg Heil! So ungefähr.« Unvermittelt lächelte er. »Dieser Deutsche in Lederkluft, nach dem die polnische Polizei sucht, das ist nicht irgendein Hell’s Angel oder sonst ein Rocker, nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Tamar zögernd.
    »Wirklich nicht?« Diesmal ließ der Blick, den er ihr zuwarf, keinen Zweifel. Er glaubte ihr nicht. »Einer meiner Gesprächspartner hat mir vorhin bestätigt, dass ein rechtes Netzwerk im Augenblick dabei ist, den Handel mit Methamphetamin aus Osteuropa unter seine Kontrolle zu bringen. Großväterchen würde das lustig finden.«
    »Lustig ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck«, gab Tamar zu bedenken.
    »Ihr Einwand ist sicher berechtigt«, meinte Oerlinghoff. »Vor allem aus Ihrer Sicht. Sie, meine Liebe, sind nämlich hinter diesen Leuten her. Ich könnte auch sagen: Sie ermitteln in eigener Sache.«
    »Ach?«
    Ein Schatten von Ärger glitt über Oerlinghoffs Gesicht. »Sie sollten es nicht ganz so leicht nehmen. Sie brauchen Solidarität. Auch die meine.«
    »Haben Sie es nicht in etwas kleinerer Münze?«
    »Wie Sie meinen.« Die Bedienung brachte die Schalen mit der Suppe, und Oerlinghoff wartete, bis sie wieder gegangen war. »Kai Habrecht hieß der Mann, er trug den angebrochenen Arm in einer Schiene und fuchtelte damit herum, und Sie haben gedacht, er hat eine Kalaschnikow, und haben ihn erschossen. Putativ-Notwehr, Sie sind in allen Verfahren rehabilitiert worden, aber was heißt das schon... Habrecht gehörte zu der Gruppe um Ernst Moritz Schatte, und Schatte ist seit zwei Jahren wieder auf freiem Fuß. By the way : Seit wann bekommen Sie nun schon Post vom Kommando Habrecht?«
    »Seit etwas mehr als anderthalb Jahren.«
    »Und wann sind die Bilder von Ihnen im Internet aufgetaucht, samt diesen Aufrufen...«, er fuhr sich mit der Handkante über die Kehle, »... und Ihrer Adresse?«
    »Zur gleichen Zeit.«
    »Ah ja«, machte Oerlinghoff, wünschte guten Appetit und beugte sich über die Schale mit der Pekingsuppe. Tamar folgte seinem Beispiel, auch wenn sie keinen Appetit hatte. Aber das wollte sie nicht zeigen.
    »Berisha hat mit dem Fall gar nichts zu tun, nicht wahr?«, fragte Oerlinghoff beiläufig. »Der Anschlag galt Ihrer Freundin Thalmann?«
    Tamar sah auf. Oerlinghoff löffelte hingebungsvoll seine Suppe, wie es schien. Sie wisse es nicht, antwortete sie. »Aber ich kann es nicht ausschließen.«
    »Vor allem können Sie es niemandem mitteilen. Sie müssten den Fall sonst abgeben.«
    Das ist der Punkt, dachte Tamar.
    »Dieses Gespräch, das wir hier führen, wird deshalb auch nie stattgefunden haben«, fuhr Oerlinghoff fort, legte den Suppenlöffel zur

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