Forellenquintett
vorgelegte Fensterläden oder heruntergelassene Jalousien drangen aus den Häusern links und rechts der Gasse einzelne Lichtstreifen, dazwischen lagen nachtdunkle Einfahrten und Innenhöfe, leer bis auf das eine oder andere dort abgestellte Auto, matt schimmernd, wenn ein Lichtstreifen darauf fiel.
Der Nebel war bereits so stark geworden, dass Tamar sich einbildete, er würde die Geräusche dämpfen und auch ihre eigenen Schritte. In ihrer Vorstellung war sie auf der Höhe des Anwesens Jehle angekommen, rechts erkannte sie den kleinen Durchlass zum Küchengarten der Jehles, in einem Zimmer im ersten Stock brannte Licht, wo blieb eigentlich dieser Hund? Aber es war nicht das, was sie irritierte.
Sie war nicht allein, und sie hatte das unabweisbare Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Irgendwo in einem dieser Innenhöfe stand jemand und sah ihr zu, soviel auch immer von ihr im Nebel und Zwielicht zu sehen war. Sie griff in ihren Mantel und tastete nach ihrer Walther P 5.
Hinter sich hörte sie Schritte.
M arlen hatte den Renault im Untergeschoss des Parkdecks abgestellt und war eine Weile neben dem Kassenhäuschen stehen geblieben, das über dem Treppenaufgang errichtet war.
Mit Elke war nicht zu sprechen gewesen. Das hätte sie sich eigentlich vorher denken können. So hatte sie die Lehrerin zurück ins Casino gebracht und war dann allein weitergefahren, bei schlechter Sicht, noch einmal nach Aeschenhorn zurück. Warum eigentlich? Die Kommissarin hatte sich dort einquartiert, das war schon verrückt genug.
Sie sah über den Marktplatz, es war dunkel, aus einem einzigen der zum Platz hin gelegenen Zimmer des Hotels schimmerte Licht durch den Nebel, war sie dort? Sie stellte sich vor, die Kommissarin säße am Schreibtisch, lesend, vielleicht einen Brief, wer schrieb ihr und warum?
Auch im Stift brannten nur noch vereinzelt Lichter, vermutlich war dort gerade eine einzige Nachtschwester eingeteilt, froh um jede Viertelstunde, in der nirgendwo auf die Notrufklingel gedrückt wurde, und wenn es dann doch klingelte, dann war nichts, und die Alten schauten aus wässrigen Augen und sagten, nein, sie hätten nicht geklingelt, sie doch nicht. Die merkwürdigen Geschichten, die man über Altersheime hörte oder las, hatten sie noch nie gewundert. Wie schnell ist eine Spritze etwas höher dosiert, oder nicht einmal höher, sondern die Dosis ist die normale, nur eben nicht die für einen alten Menschen, und schon war es passiert, und niemandem fiel etwas auf, und weil es so einfach und bequem und schmerzlos ablief, ließ man es auch ein zweites und bald ein drittes Mal so ablaufen...
Sie schüttelte den Kopf, als könne sie so den Gedanken besser verscheuchen, der eigentlich gar kein Gedanke war, sondern nur ein sinnloser Einfall. Sie, Marlen Ruoff, PHM, musste sich an das halten, was konkret und vernünftig war. Und die einzig wirklich konkrete und vernünftige Frage, die sich jetzt stellte, war die, ob Bastian Jehle nun tot war, wie sie immer angenommen hatte, oder ob er lebte und tatsächlich zu seinen Eltern zurückgekommen war. Und alles, was sie - Marlen - tun und unternehmen könnte, würde davon abhängen, welche der beiden Möglichkeiten zutraf.
Sie überprüfte noch einmal, was ihr durch den Kopf gegangen war, dann nickte sie, bückte sich und suchte sich am Fuß der Hecke eine Handvoll Steinchen. Dann ging sie die Korbmachergasse hoch, rasch und entschlossen, denn die Sache war im Grunde so einfach, dass sie sich wunderte, warum sie nicht schon früher draufgekommen war.
Sie bog nach rechts in den Durchlass ab, gewärtig, dass Maxl aus der Dunkelheit hervorschießen und seine Kläffe anschlagen würde. Doch es blieb still. Der Durchlass lag im Dunkeln, Jehles Büro war nicht erleuchtet, und auch im Balkonzimmer im ersten Stock brannte kein Licht. Aber das hatte auch früher schon nichts zu bedeuten gehabt.
Sie holte die Steinchen, die sie aufgesammelt hatte, aus der Jackentasche, trat ein paar Schritte zurück und zielte. Es war nicht ganz einfach, an dem Vogelbeerbaum vorbei und über das Balkongeländer hinweg das Fenster zu treffen, als Kind hatte sie eine ganze Weile gebraucht, bis sie es gekonnt hatte. Schließlich warf sie und erwischte die Fensterscheibe ganz oben, das Klirren war so heftig, dass sie selbst erschrak, schließlich wollte sie das Fenster ja nicht einwerfen. Sie wartete ein paar Sekunden, dann warf sie rasch hintereinander und mit etwas weniger Wucht zwei weitere Steinchen:
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