Forellenquintett
Tam-tata, ihr altes Signal.
Nichts geschah. Im Zimmer rührte sich nichts, kein Lichtsignal, keine Bewegung an den Vorhängen. Marlen wartete. Wie lange? Eine Minute, vielleicht auch weniger. Sie sah sich suchend um, und erst jetzt bemerkte sie das weiße Bündel, das auf der anderen Seite des Gartenzauns lag. Sie holte die kleine Stablampe hervor, die sie in der Jackentasche hatte, und knipste sie an.
Der weiße Spitz lag auf der Seite, aus dem geöffneten Maul hing die Zunge heraus, und die Zähne waren gefletscht, als habe er noch rasch dem Tod in die knochige Hand beißen wollen.
E ine halb von einem wuchernden Geißblattstrauch zugewachsene Hofeinfahrt hatte der Kommissarin Schutz geboten, als die Schritte, die ihr gefolgt waren, plötzlich Halt gemacht hatten. Sie hatte sich vorgebeugt und um die Ecke gespäht, unverkennbar war es eine Frau, die nun in den Durchlass zum Anwesen Jehle ging, eine Frau mit einer lockigen Mähne zudem. Wäre die Mähne nicht gewesen, hätte sie gedacht, es wäre ihre Kollegin Marlen Ruoff. Sie hatte dieses merkwürdige Klicken gehört, das Steinchen machen, die gegen ein Fenster geworfen werden, und fast war sie sich wie eine Voyeurin vorgekommen, als plötzlich in dem Haus vor dem Durchlass die Lichter angingen und kurz darauf jemand zu schreien und zu klagen begann, dass es durch den ganzen nächtlichen Ort hallte.
Und auch in den Häusern um sie herum gingen die Lichter an, und noch immer stand sie, die Voyeurin, hinter dem Geißblatt, bis sie plötzlich begriff, dass sie hier nicht bleiben sollte. Sie ging auf die Gasse hinaus und auf den Durchlass zu, blieb dann aber unvermittelt stehen. In dem Garten, der zu dem Haus an der Ecke gehörte, kniete eine wirre, alte, grauhaarige Frau im Morgenmantel vor einem weißen Bündel, die PHM Marlen Ruoff mit der frei schwingenden Lockenmähne kniete daneben und redete begütigend oder tröstend auf sie ein, und aus dem Dunkel löste sich ein Mann, der Mann trug Hut und einen dunklen, taillierten Mantel, einen Hut trug auch Schatte, aber dies war nicht Schatte, der Mann aus dem Dunkel war kleiner, gedrungener, militärischer als jener, und dann stand die Polizeihauptmeisterin Marlen Ruoff auch schon auf und erstattete Bericht, was immer der Leitende Polizeidirektor Rupert Max v. Oerlinghoff an diesem Abend in der Korbmachergasse zu Aeschenhorn an Berichten einzufordern hatte.
Über den Hinterhof seines Hauses kam Martin Jehle und blieb mit einigem Abstand von der klagenden Frau stehen, er sah erregt aus, das schüttere Haar schien sich zu sträuben.
»Sind Sie Martin Jehle?«, fuhr ihn Oerlinghoff an, dass Jehle nur nicken konnte. »Ist Ihr Sohn im Haus?« Es klang, als habe der Polizeidirektor den Schuldigen am Tod des kleinen Hundes ausgemacht.
»Nein«, antwortete Jehle erschrocken, und es schien, als habe ihm die ruppige Frage fast die Stimme verschlagen. »Er macht einen Spaziergang...«
»Einen Spaziergang! Hat ihn jemand deswegen abgeholt?«
»Nein«, kam die Antwort, »es war die Idee der Stefanie, das ist unser Lehrling, die beiden wollten einen kleinen Bummel...«
»Einen Bummel!«, wiederholte Oerlinghoff, und es klang, als hätte er ein abscheulicheres Wort noch nie gehört. Sein Blick fiel auf Tamar Wegenast. »Schön, Sie zu sehen«, sagte er, »da können die Zuspätgekommenen ja nun bald Quartett spielen!«
D er nach Süden ausgerichtete und in halbrunden Terrassen angelegte Appartementblock lag im Dunkeln, außerhalb der Lichthöfe der wenigen Straßenlampen, ein dunkler Wall, von dem der Fremde kaum mehr erkennen würde als die abweisenden Brüstungen der Terrassen. Das Paar, das - Arm in Arm - auf dem Trottoir näher kam, ging schneller, als es Paare sonst tun. Vor dem Appartementhaus blieb es stehen.
»Komm«, flüsterte Stefanie und zog ihn vom Gehsteig auf eine gepflasterte Zufahrt, die zur Tiefgarage des Blocks zu führen schien.
Er zögerte. Dieses Trampel weiß nicht, was es tut, dachte er. Ein solcher Betonblock hat jede Menge Alarmanlagen, und eine davon ist direkt zur Polizei geschaltet, da war er sich sicher.
»Es gibt einen Trick«, fuhr Stefanie fort und verstärkte ihren Druck auf seinen Arm. »Glaub mir, ich hab ihn zufällig entdeckt...«
Er gab nach, ohne zunächst einen anderen Grund dafür zu haben als den, dass er es sich in den letzten Tagen merkwürdig schnell angewöhnt hatte, all das mit sich geschehen zu lassen, was die Leute sich für ihn ausdachten.
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