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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sollte Sie auf dem Laufenden halten«, sagte sie, als der Teilnehmer sich endlich gemeldet hatte.
    »Und?«, antwortete Oerlinghoff.
    »Schatte ist heute Abend eingetroffen. Er hat sich mit seinem Namen eingetragen.«
    »Allein?«
    »Nein. Er hat einen jungen Mann bei sich, seinen Sekretär oder Chauffeur. Der junge Mann hat sich als Wolf Deutscher eingetragen.«
    »Können Sie ihn beschreiben?«
    »Anfang zwanzig, etwas über ein Meter siebzig, sportliche Statur, kurzes blondes Haar, Jeans, Lederjacke.«
    Oerlinghoff schwieg.
    »Sind Sie noch da?«, fragte Tamar.
    »Aber sicher doch.« Die Stimme klang abwesend. »Was meinen Sie denn, was wir tun sollten?«
    »Nichts«, antwortete Tamar.
    »Und warum?«
    »Weil er sich mit seinem Namen eingetragen hat. Ich glaube, er erwartet geradezu, dass Sie heute Nacht die Streifenwagen hier Karussell fahren lassen.«
    Er lachte, aber es klang ein wenig unfroh. »Sie sehen im Augenblick also keine Gefahr?«
    »Heute Nacht nicht.«
    Wieder Schweigen am anderen Ende der Leitung.
    »Das wäre es dann«, fuhr Tamar fort, »ich bitte, die Störung zu entschuldigen, und wünsche eine gute Nacht...«
    »Moment«, sagte Oerlinghoff. »Ich werde einen Streifenwagen schicken, der patrouillieren wird. Die Kollegen werden das nicht in unmittelbarer Nähe des Hotels tun, aber so, dass sie jederzeit eingreifen können... Ist das okay?«
    »Wenn Sie meinen.«
    Tamar legte auf. Wieso stand sie im Dunkeln? Unsinn. Sie knipste die Beleuchtung des Nachttisches an, ging zu ihrer Reisetasche und holte Halfter und Dienstwaffe heraus.
    Sie hatte Oerlinghoff eine Komödie vorgeführt. In Wahrheit hatte sie nicht die geringste Ahnung, was Schatte tun oder unterlassen würde. Sie kannte ihn nicht. Einmal hatte sie ihm ein Beruhigungsmittel gegeben und seinen Arm ruhig gestellt, damals, als ihm das Handgelenk zerschlagen worden war.
    Aber selbst daran hatte sie nur eine schwache Erinnerung. Es war an dem Tag gewesen, an dem sie Kai Habrecht erschossen hatte, wenige Minuten zuvor. Sie legte das Halfter an, vergewisserte sich, dass sie das Magazin ihrer Walther eingelegt hatte, zog die Jacke über Halfter und Waffe und schlüpfte in ihren Mantel. Bevor sie das Licht wieder löschen wollte, zögerte sie kurz. Der Seehof war ein mit Maßen altmodisches Hotel, die Zimmer hatten noch Schlüssel und vor allem keine dieser Chipkarten, mit denen beim Eintreten die Stromversorgung hergestellt und dann auch wieder unterbrochen wird, wenn der Gast das Zimmer verlässt. Sie könnte also das Licht brennen lassen. Sprach etwas dagegen? Nein.
    An der Rezeption erklärte sie Julia, dass sie noch einen Spaziergang machen wolle, und bat um einen Schlüssel, falls sie sehr spät zurückkomme. Das Mädchen erklärte ihr, dass es für späte Gäste einen Seiteneingang gebe, der sich mit dem Zimmerschlüssel aufschließen lasse, und zeigte dabei einmal mehr jenes unerschütterliche Lächeln, von dem Tamar zu einer anderen Zeit schon gerne gewusst hätte, welch ein Mensch sich dahinter verbarg.
    Sie war schon an der Hoteltür, als sie sich noch einmal umdrehte und zurück zur Rezeption ging.
    »Sagen Sie - sind Dr. Schatte und sein Begleiter noch im Haus?«
    »Ich glaube, sie sind vorhin ins Restaurant gegangen«, antwortete Julia und warf, als wolle sie sich absichern, einen Blick auf das Schlüsselbord. »Sie finden sie sicher dort.«
    »Das Finden hat noch Zeit«, sagte Tamar, bedankte sich und trat hinaus auf den Markplatz. Nebel war vom See hergezogen, und es war frisch geworden. Sie schlug den Mantelkragen hoch und ging schräg über den Marktplatz, vorbei an den Häusern mit den Barockgiebeln, von denen das unscheinbarste das des Schreibwarenhändlers Jehle war. Sie warf einen Blick nach oben, aber ob er sich noch immer auf den verschlungenen Wegen seines Monologs befand, konnte sie von unten nicht sehen.
    Ein Auto näherte sich und hielt an der Einlassschranke des Parkdecks. Tamar zog sich in das Dunkel der Hecke zurück, die um die Anlage gepflanzt war. Der Fahrer des Wagens zog das Ticket und fuhr dann nicht auf die Freifläche, sondern in das Untergeschoss. Es war ein Kleinwagen, ein Renault, wie sie aus der Anordnung der Lichter und dem Umriss der Karosserie schloss.
    Im Schutz der Hecke verließ sie das Parkdeck, ging aber nicht zurück auf den Marktplatz, sondern schlug den Weg zur Korbmachergasse ein, die unbeleuchtet war bis auf den im Nebel schimmernden Lichthof einer einzigen entfernten Straßenlampe. Durch

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