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Forellenquintett

Titel: Forellenquintett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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schon immer zu Hause gewesen, ging sie durch die Diele in einen großen Wohnraum. Er folgte ihr, nachdem er die Wohnungstür hinter sich zugezogen hatte.
    Ein Panoramafenster an der Südseite des Wohnraums fing gerade so viel Helligkeit ein, dass sich die Umrisse einer Sitzgruppe und anderer Möbel abzeichneten. Es roch nach Leder, Möbelpolitur und Bücherstaub, kühl war es außerdem. Doch Stefanie beugte sich bereits über die Radiatorenheizung und drehte den Ventilknopf auf.
    »Ich hab hier schon ein paar Mal geputzt«, sagte sie und drehte sich zu ihm um. »Immer, wenn meine Mutter knülle war. Ohne mich hätt’ sie den Job schon lang verloren.« Sie war stehen geblieben, mit dem Rücken zur Heizung. »Es wird gleich wärmer, du kannst es schon fühlen...«
    Er war näher gekommen und trat nun neben sie ans Fenster. Der Nebel draußen - oder unterhalb von ihnen - war so dicht, dass nirgends auch nur ein Licht zu sehen war.
    »So genau weiß ich ja nicht, warum wir hier sind«, fuhr Stefanie fort, »eigentlich weiß ich es überhaupt nicht, aber beim Putzen hab ich mir schon manchmal vorgestellt, wie das wäre: Alle Menschen weg, verschwunden, tot oder einfach von hier fort, und nur ich bin allein zurückgeblieben und suche mir eine von diesen Wohnungen aus, und was mir fehlt und was ich brauche, hole ich mir aus den Läden oder den anderen Wohnungen... Findest du mich jetzt albern? Immer vergesse ich das: Du redest ja nicht.«
    Einen Augenblick lang blieb sie noch stehen, wartend, dann löste sie sich von der Heizung und ging wieder ins Zimmer hinein.
    »Ich schau mal in der Küche nach, ich glaube, es müssten noch ein paar Vorräte da sein.«
     
     
     
    W as soll denn mit der Steffi sein?« Die Frau, die für Marlen die Tür geöffnet hatte, sie aber nicht ins Haus bat, trug einen Trainingsanzug, der sie noch unförmiger erscheinen ließ, als sie es in Wirklichkeit sein mochte, und hatte wirres, rot gefärbtes Haar. »Die macht keinen Scheiß, hat noch nie einen gemacht...« Sie hatte sich am Türpfosten festgehalten, nun löste sie sich davon und wies mit der Hand anklagend auf Marlen. »Der ist doch nichts passiert, das kann doch nicht sein, warum sagst du mir nicht, was los ist?« Eine Alkoholfahne schlug der Polizistin ins Gesicht und nahm ihr kurz den Atem.
    »Ich sagte Ihnen doch«, Marlen bemühte sich, langsam und deutlich zu sprechen, »wir suchen eine andere Person, und Stefanie ist zuletzt mit ihr gesehen worden.«
    »Zuletzt mit ihr gesehen worden!«, wiederholte die Frau, und ihre Stimme wurde klarer. »Das sagen sie im Fernsehen auch immer, irgendwo ist eines zuletzt gesehen worden, und dann ist es tot, umgebracht, abgemurkst... So ist es doch, sofort hab ich gedacht, dass du Unheil bringst, du bist doch die Ruoff hier aus dem Ort, noch nie hast du jemandem Glück gebracht, kaum hat dich deine Mutter gesehen, ist sie auf und davon...«
    »Ich würde mir jetzt gerne Stefanies Zimmer anschauen«, antwortete Marlen und schob sich an Stefanies Mutter vorbei in die enge Diele.
    »Dumme Fragen stellen, dumm im Streifenwagen herumfahren, nichts als Unglück«, murmelte die Mutter und folgte ihr bis zum Wohnzimmer, das ausgefüllt war von einer Sesselgarnitur und einer Schrankwand. Im Fernsehapparat lief eine Container-Show, und auf dem Couchtisch stand eine Zwei-Liter-Flasche italienischen Rotweins.
    »Wo ist Stefanies Zimmer?«
    Ihre Mutter wies nach oben, und Marlen stieg die enge Treppe neben der Wohnzimmertür hoch. An den Wänden hingen gerahmte und fixierte Puzzlebilder von Pferden und Hunden, und der Flur oben war mit hellem Teppichboden ausgelegt. Marlen Ruoff öffnete aufs Geradewohl eine Tür, sie führte in ein Zimmerchen, das mit einem breiten ungemachten Bett vollgestellt war.
    »Ja, schnüffel nur herum!«, rief es von unten.
    Die nächste Tür öffnete sich in einen etwas größeren Raum mit einer Schlafcouch, den Postern von Schlagersängern, die Marlen schon nicht mehr kannte, einem Schülerschreibtisch und einem Regal mit Kinder- und Jugendbüchern, aber auch schon allerhand Romanen. Das Zimmer war aufgeräumt, es lagen keine Kleider und keine Unterwäsche herum, niemand hatte sich hastig umgezogen.
    Eine neuerliche Dunstwolke hüllte sie ein. »Sind Sie jetzt zufrieden?«, fragte Stefanies Mutter, die ihr nun doch gefolgt war.
    Marlen ging an ihr vorbei, eine dritte Tür führte in das Bad. Die Handtücher waren trocken, Spiegelschrank und Ablagen voll gestellt. In einem der

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