Forellenquintett
Frau, so groß, dass sie Tamar überragte. Alles an ihr schien etwas aus der Norm geraten, selbst die dicke Katze, die sie auf dem Arm trug und deren Augen wie zwei missbilligende Lichtpunkte auf Tamar gerichtet waren. »An dem Kaffee da drin würden Sie keine Freude haben. Warum kommen Sie nicht auf eine Tasse zu mir? Oder hätten Sie lieber einen Tee?«
Tamar lächelte und nannte ihren Namen. »Wenn ich schon die Wahl habe, dann lasse ich mich sehr gerne zu einem Tee einladen.« Sie musste an Walburga Kreitmeyer geraten sein, an die absolut größte aller Wahrsagerinnen, wie Marlen Ruoff sie genannt hatte.
Die Kreitmeyer ging ihr voraus, öffnete die Tür des kleinen blauen Hauses und bat Tamar einzutreten. »Aber stoßen Sie sich nicht am Türbalken.« Dann folgte sie selbst, ebenfalls mit eingezogenem Kopf, und ließ drinnen die Katze von ihrem Arm springen. Mit einem federnden Plumpsen kam das Tier auf dem Boden auf und machte dazu ein gurrendes Geräusch.
»Nostradamus war mir etwas zu lange aushäusig«, erklärte seine Besitzerin, »da hab ich ihn lieber eingesammelt. Irgendein schrecklicher Mensch führt hier heute Abend seinen schrecklichen Hund spazieren, da kann ich bei Nostradamus für nichts garantieren, er springt dem Hund in den Nacken und krallt sich fest, und das wird dann eine furchtbare Sauerei.«
D ie Jalousie war heruntergelassen, die Vorhänge waren zugezogen und die Welt draußen ausgeschlossen und untergegangen in einem Nebelmeer. Er saß an einem Tisch, über den eine rot-weiß gemusterte Decke gebreitet war, Kristallgläser und Fischbesteck vor sich, und die Kristallgläser funkelten im Licht der beiden Kerzen. In der Mikrowelle drehte sich ein Fischgericht, und Stefanie mischte auf der Anrichte einen Salat zusammen, für deren Zutaten sie Konserven genommen hatte. »Rote Beete und Erbsen, ich weiß nicht, ob das jemand schon einmal probiert hat, vielleicht ist es ja eine Entdeckung.« Das Kerzenlicht warf ein grotesk verzerrtes Schattenspiel ihrer Bewegungen und ihrer Körperformen an die Wand der Küche und auf die Einbauschränke, die Schatten tanzten hierhin und dorthin und nahmen Besitz von der Küche und allem, was darin war.
»Machst du das mal auf?«, sagte Stefanie und stellte eine Weinflasche und einen Korkenzieher vor ihn auf den Tisch. Ganz stillschweigend - oder eben alles andere als stillschweigend - war sie dazu übergegangen, mit ihm zu reden, als ob er alles verstehen müsse, was sie sagte.
Und weil er das ja auch tat, stand er auf, damit er die Flasche tief genug halten konnte und so mehr Zug auf den Korken hatte.
»Das ist jetzt natürlich nicht das Vier-Sterne-Dinner«, sagte Stefanie und holte die Aluminiumschale mit dem aufgetauten Fisch - Lachsforelle in Dillsauce mit Kartoffeln und Lauchgemüse - aus der Mikrowelle. »Aber ich hab gesehen, dass noch Eiscreme in der Tiefkühle ist, die nehmen wir als Nachtisch. Bei mir wirst du schon nicht verhungern.« Sie verteilte den Fisch auf zwei Teller und brachte sie an den Tisch.
Er schenkte ein, dummerweise hatte Stefanie eine Flasche Roten erwischt, irgendetwas Vornehmes aus einem Großherzoglichen Meersburger Weingut, der Lachsforelle und dem Ludwigsburger Notar konnte es egal sein, denn beide waren schon tot. Stefanie hob ihr Glas.
»Zum Wohl«, sagte sie. »Auf uns beide!«
Z ucker? Kandis?«
Tamar lehnte dankend ab. Der Tee wurde in einem alten, etwas angeschlagenen Zwiebelschalen-Service angeboten, ein rot glühendes Elektro-Öfchen verbreitete nicht so sehr Wärme, sondern den Geruch von angesengtem Staub. Der Boden war mit einem Flickenteppich belegt und die beiden Fenster mit schwarzen und roten Stoffbahnen verhängt. Schwarz und Rot schienen überhaupt die Farben der Gastgeberin zu sein, über einem wallenden schwarzen Gewand trug sie einen ausladenden Dompfaff-roten Umhang.
Tamar registrierte dies alles mit einer merkwürdigen Verwunderung, vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie selbst ziemlich hochgewachsen war und von daher ungeübt, es mit einer deutlich größeren Frau zu tun zu haben. Unvermittelt sprang die Erinnerung an ein Leseerlebnis sie an, ein Mädchen konnte sich aussuchen, wie groß es sein wollte - mal schoss es rasend schnell in die Höhe, Baumwipfel-hoch, und konnte gleich wieder schrumpfen, dass es so klein war wie eine alberne Spielkarte, aber wie immer sie es auch anstellte, sie traf nicht das richtige Maß, kurz: Tamar war in Alices Wunderland geraten,
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