Forellenquintett
ordentlicheren Fächer fand sie zwischen Wimperntusche und Cremes gegen Akne eine nicht angebrochene Schachtel von Anti-Baby-Pillen. Nirgendwo sah sie eine Lücke, die darauf hingedeutet hätte, dass jemand hastig gepackt und mitgenommen hätte, was frau so braucht.
»Hat Stefanie heute Abend angerufen? Dass sie später kommt oder bei jemand anderem übernachten wird?«
»Was denken Sie denn?«, fragte Stefanies Mutter zurück. »Sie ist ein anständiges Mädchen. Die übernachtet nicht einfach so bei jemandem anderen ...« Plötzlich hatte sich ihre Stimme verzerrt. »Das ist nämlich keine, die mal nach Kanada abhauen muss und ihr Balg bei der Großmutter zurücklässt.«
»Wenn Stefanie zurückkommt oder anruft«, antwortete Marlen, »sagen Sie ihr, dass sie sich dringend bei uns melden soll. Wir haben ein paar Fragen an sie.«
Sie drückte der Frau ihre Visitenkarte in die Hand, wünschte einen guten Abend und ging. Als sie die Haustür hinter sich zudrückte, hörte sie noch, wie ihr die Frau nachrief:
»Einen solchen guten Abend, ja, das wünsch ich dir auch, Tausende solcher Abende sollst du haben!«
Marlen stieg in die schwarze Limousine, auf den Beifahrersitz, und Oerlinghoffs Fahrer ließ den Wagen anrollen. Der Polizeidirektor saß im Fond und telefonierte.
»Vorrangig bitte alle Bahnhöfe überprüfen«, hörte sie ihn sagen, »verständigen Sie die Kollegen in Lindau und Ravensburg, natürlich auch in Ulm, und die Suchhunde sollten morgen Vormittag ab zehn Uhr eingesetzt werden können, nein, ab neun Uhr... Haben wir jetzt noch einen Streifenwagen frei? … Wer? Rösner und Kubitschek? Die sollen die Ferienwohnungen überprüfen... Was weiß ich, wie viele das sind und wo man sie findet, soviel Ortskenntnis wird doch verdammt noch mal vorhanden sein!«
Er legte auf und beugte sich nach vorne. »Die Kleine war natürlich nicht da?«
»Nein«, berichtete Marlen, »sie ist bisher nicht nach Hause gekommen und hat auch nicht angerufen, soweit ich die Mutter verstanden habe.«
»Was heißt das: soweit Sie verstanden haben?« In Oerlinghoffs Stimme baute sich Zorn auf.
»Die Mutter hat ein Alkoholproblem«, erklärte Marlen.
»Reizend«, sagte Oerlinghoff. »Wie gerne würde ich mal jemanden kennen lernen, der ganz ohne Problem einfach nur eine vernünftige Antwort geben kann.«
An einzelnen Villen vorbei näherten sie sich wieder dem Ortskern mit dem Marktplatz und der Kirche St. Jodok.
»Fahren Sie mich zu diesem Hotel«, wies Oerlinghoff den Fahrer an. Dann wandte er sich wieder an Marlen Ruoff. »Wir diskutieren jetzt nicht, wie weit Ihre Anwesenheit heute Abend dienstlich begründet gewesen ist. Jedenfalls ist Ihr Einsatz jetzt beendet. Wo können wir Sie absetzen?«
T amar verließ die Zehntscheuer und ging ein paar Schritte, unversehens stand sie neben der Bäckerei, in der sie am Nachmittag mit Marlen Ruoff Kaffee getrunken hatte. Noch ein paar Schritte, und sie wäre in ihrem Hotel und könnte einfach ein Bad nehmen und ins Bett gehen, egal, wer auch immer sonst unter diesem Dach übernachten mochte...
Vom anderen Ende des Marktplatzes näherte sich eine Limousine und hielt vor dem Seehof, ein Mann stieg aus dem Fond und wechselte durch die offene Wagentür noch ein paar Worte mit dem Fahrer, dann warf er die Türe zu und setzte sich seinen Hut auf und ging mit raschen energischen Schritten ins Hotel. Die Scheinwerfer des Wagens erloschen, offenbar hatte der Fahrer Anweisung, einige Zeit zu warten.
Tamar schlug den Kragen ihres Mantels hoch und ging mit raschen Schritten auf das Hotel zu und daran vorbei und warf beim Vorbeigehen einen Blick in das erleuchtete Foyer. Niemand stand dort, um sich - vielleicht - das Gästebuch zeigen zu lassen. Sie ging weiter, überquerte den Marktplatz und nahm den kleinen Weg, der neben dem Trachtengeschäft in die Korbmachergasse führte, und wandte sich dann nach rechts. Die Häuser hier waren ihr bei Tageslicht unscheinbar vorgekommen. Jetzt aber, in der Dunkelheit und im Nebel, waren sie näher gerückt, als seien die tagsüber schläfrigen Fassaden aufgewacht, das ist unsere Gasse, schienen sie zu sagen, geh weiter! Mit dir wollen wir nicht reden.
Weiter vorne schimmerte Licht, sie ging darauf zu und erkannte das Alte Schulhaus, dessen Erdgeschoss hell erleuchtet war. Sie überlegte, ob sie dort wohl einen Kaffee bekommen würde.
»Ich rate Ihnen ab«, sagte eine Stimme neben ihr. Es war die Stimme einer Frau, einer sehr großen
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