Forever in Berlin
Dich«, bat Chris.
»Was willst Du denn wissen?«
Chris sah sich um und angelte ein Wochenmagazin aus dem Zeitschriftenständer an der Wand.
»Lass mal sehen. Hier ist normalerweise auf der letzten Seite immer der Fragebogen für die Unsterblichkeit drin, oder wie diese Rubrik heißt. Da bekommen Promis allerlei originelle Fragen gestellt.«
Er blätterte auf die letzte Seite. Dann räusperte er sich und rief in gekünstelter TV-Moderatoren-Stimme: »Und unser heutiger Gast ist Liliane von Marloffstein!«
Lilly lächelte und spielte mit. »Ich freue mich, heute Abend hier in Ihrer Show zu sein.«
»Erste Frage: Was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung?«
»Schlafen.«
»Wirklich?«
»Naja, nicht unbedingt schlafen, aber im Bett rumlungern. Lesen, frühstücken, Kater kraulen. Bis es früher Nachmittag ist oder so.«
»Akzeptiert.«
»Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten?«
»Loyalität, Vertrauen, nicht dauernd be- und verurteilt zu werden.«
»Sehr schön. Nummer drei: Was verabscheuen Sie am meisten?«
»Lügen.«
Lilly begann das Spiel zu gefallen. Sie griff über den Tisch und schnappte sich das Magazin. »Jetzt Du. Wer ist Ihr zeitgenössischer Lieblingsheld?«
»Ich finde diese amerikanischen Multimilliardäre ganz beeindruckend, Bill Gates etwa oder Warren Buffett, die ihren ganzen angehäuften Reichtum nicht einfach verprassen oder vererben, sondern in gemeinnützige Stiftungen stecken, um die Welt wenigstens ein bisschen besser zu machen.«
»Ach süß«, stichelte Lilly. »Der Porschefahrer ist ein Weltverbesserer.«
»Was gibt’s denn daran auszusetzen?«
»Hätte ich halt nicht gedacht.«
»Von einem egoistischen Kapitalistenschwein. Oder wie hast Du mich neulich noch einmal beschimpft?«
Jetzt wurde Lilly ein wenig rot. »Genau. Von einem, ähm, von so einem halt. Nächste Frage: ,Wer oder was hätten Sie gerne sein mögen?’«
»Ach, ich bin eigentlich ganz zufrieden mit mir selbst.«
»Sicher? Du könntest jetzt Nelson Mandela sagen oder Brad Pitt?«
»Kein Bedarf.«
Lilly registrierte zum wiederholten Mal, dass dieser Mann, der ihr gerade gegenüber saß, über ein wirklich gesundes Selbstvertrauen verfügte.
»Du bist also zufrieden mit Deinem egoistischen Kapitalistenschweinleben?«
Chris musste lachen. »Was weißt Du denn schon von meinem Leben?«
»Genau. Rück raus.«
In ihren E-Mail-Konversationen hatten sie über alles mögliche geplaudert. Lieblingsfarbe etwa – Er: schwarz, Sie: magenta. Oder: Lieblingsbücher – Er: Shantaram und Er ist wieder da , Sie: Zwei an einem Tag und Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand . Oder: Letzte Mahlzeit vor dem Tod – Er: Steak, Sie: Schokomousse. Nur die wichtigsten Eckdaten, den drögen Alltag also, hatten sie tunlichst ausgelassen.
Chris lehnte sich zurück und sah an die Decke. »Also gut. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und arbeite als Juniorpartner in der Firma meines Vaters.«
Lilly hatte gerade einen Schluck Weißweinschorle genommen, den sie jetzt fast quer über den Tisch gespuckt hätte.
»Das kann doch nicht wahr sein. Ein Söhnchen. Ich hätte es wissen müssen. Ein Söhnchen mit Porsche. Mehr Klischee geht nicht.« Sie wieherte fast vor Lachen.
Jetzt lief Chris rot an. Die Richtung, in die sich das Gespräch bewegte, war ihm ganz offensichtlich unangenehm.
»Ich war vorher bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, aber in zwei, drei Jahren werde ich das Familienunternehmen übernehmen«, verteidigte er sich. Dann holte er zum Angriff aus: »Und was ist mit Dir, Prinzessin von Marloffstein?«
Lilly musste grinsen. »Volltreffer! Kulturwissenschaften, erst Passau, dann Berlin. Brotlose Kunst, deshalb Café-Mitbesitzerin. Und das Geschlecht von Marloffstein, das ist übrigens nur verarmter Landadel«, wiegelte sie ab. Und die fast schon explosive Spannung, die sich gerade zwischen den beiden aufgebaut hatte, verflüchtigte sich sofort wieder.
Chris griff nach Lillys Hand. »Ich würde dich gerne wiedersehen, Prinzessin Lillyfee. Freitag um acht bei mir zum Dinner?«
8
Lilly blickte zum vielleicht zweihundertdreiundvierzigsten Mal an diesem Donnerstag auf die große Bahnhofsuhr hinter der Theke des Solo, die Nick von irgendeinem Flohmarkt angeschleppt hatte. Normalerwiese ging sie Lilly mit ihrem hörbaren Knacken, wenn der Zeiger von einer Sekunde auf die nächste sprang, gehörig auf die Nerven. Heute aber nicht. Wenn es nur menschenmöglich wäre, würde
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