Forever in Berlin
des Flughafens Nürnberg auf, der inmitten von Bauernhöfen und Ackerland lag. Das Nürnberger Knoblauchsland. Lilly nahm ihr Handgepäck aus dem Fach über ihrem Kopf und ging nach draußen. Dort, vor der Tür, wartete schon ihr Vater auf seine Tochter. Er trug einen Trachtenjanker zu einer grauen Stoffhose und einen Filzhut mit Gamsbart.
»Hallo, Papa«, begrüßte Lilly ihren Vater schmunzelnd. »Du siehst aus, als wolltest du gleich auf die Jagd gehen.«
»Guten Tag, Liliane.« Er gab ihr einen väterlichen Klaps auf die Schulter und nahm ihr den kleinen, silbernen Rollkoffer ab. »Hattest Du einen guten Flug?«
»Ereignislos.«
»Ereignislos ist gut.«
Ihr Vater war ein großer Freund von Tradition und Beständigkeit.
Die zwei Generationen Marloffstein kamen im Parkhaus bei dem Land Rover der Familie an, der innen wie immer nach Jagd roch. Nach Erde, Tannenbaum, Hund und totem Getier. Henry, der sandfarbene Weimeraner der von Marloffsteins, saß in dem mit Gitter vom Passagierraum abgetrennten Kofferraumabteil und wedelte freudig mit dem Schwanz, als er Herrchen samt Tochter sah. Lilly öffnete den Kofferraumdeckel und ließ sich zur Begrüßung das Gesicht abschlecken.
»Henry, mein Alter. Was macht das Hundeleben?«
Lillys Vater schnalzte nur missbilligend mit der Zunge. »Liliane, bring dem Hund nicht auch noch bei, dass ein solches Verhalten toleriert wird.«
Lilly musste ein Mal tief durchatmen. Sie hatte sich vorgenommen, das ganze Wochenende bei ihren Eltern über total »Zen« zu sein. In ihrer Mitte. Den Augenblick des Moments leben, und so. Oder einfacher: Die Ohren auf Durchzug zu stellen. Einfach fiel ihr das allerdings nicht. Schon die Tatsache, dass ihr Vater darauf bestand, sie bei ihrem vollen Namen – Liliane - zu nennen, machte sie halb wahnsinnig.
Das Schlösschen der von Marloffsteins lag im gleichnamigen mittelfränkischen Örtchen, 20 Autominuten vom Nürnberger Flughafen auf einer 390 Meter hohen Erhebung, dem ‚Pass Marloffstein’. Von wo aus man einen herrlichen Blick auf das fränkische Umland hatte. Das 300 Jahre alte Schloss und seine Nebengebäude erstreckten sich über eine Fläche von gut einem Hektar samt Schlossgraben und barocken Gärten. Lilly war jedes Mal wieder ein bisschen ergriffen von dem schönen Gebäude und der langen Geschichte, die in diesen dicken Mauern steckte.
Kaum hatte der Land Rover vor der Eingangstreppe gehalten, da öffnete sich die Türe schon und Frau Behringer, die Haushälterin, stand zur Begrüßung da.
»Meine kleine Lilly«, rief sie hocherfreut, öffnete ihre kräftigen Arme und drückte die Heimkehrende, die erst mit einem Fuß ausgestiegen war, fest an ihre massive Brust. Wie eine Fünfjährige.
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Fränkischen fühlte Lilly sich wohl.
Frau Behringer führte sie in das Speisezimmer, wo der Tisch schon gedeckt war und ihre Mutter kerzengerade davor saß, als ob jetzt gleich die Königin von England eintreten würde. Sie erhob sich, um Lilly zu begrüßen. Diese ging zu ihr und küsste sie auf die Wange.
»Hallo Mama.«
»Guten Tag meine Liebe. Du warst schon lange nicht mehr zu Hause.«
Lilly gab sich große Mühe, ihre Ohren auf Durchzug zu schalten und die erste von vielen unterschwelligen Sticheleien einfach zu ignorieren.
Jetzt setzte sich auch Lillys Vater an den Kopf des Tisches, und Frau Behringer begann, das Mittagessen zu servieren. Die von Marloffsteins frühstückten pünktlich um 9 Uhr, um 13 Uhr aßen sie zu Mittag, um 17 Uhr wurde Tee serviert und um 20 Uhr das Abendessen. Lilly hatte sogar ihre Flugbuchung nach den Essenszeiten gerichtet. Sie wollte wenigstens in Frieden ankommen. Heute gab es Leberknödelsuppe, gefolgt von Rehbraten, und zum Schluss eingelegte Marillen aus dem heimischen Garten. Lilly hätte nicht im Traum daran gedacht, die Nachspeise zuerst zu essen.
»Und, meine Liebe, was macht Dein Beruf? Hast du noch ein paar Bewerbungen geschrieben?«, fragte Mutter Marloffstein.
Lilly verdreht innerlich die Augen. Zen, sagte sie sich. Immer schön Zen bleiben.
»Ich brauche keine Bewerbungen zu schreiben, Mama. Ich habe einen Beruf.«
Ihre Mutter sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Kaffeekochen ist meines Wissens kein wirkliches Beschäftigungsfeld.«
»Ich koche zwar auch den Kaffee. Aber in einem Café, das mir selbst gehört.«
Wie oft habe ich diese hirnrissige Diskussion schon geführt?, fragte sich Lilly. Könnten wir uns nicht einfach darauf
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